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Zur Siedlungsgeschichte der Dyan und Pwo in Ouan (Michaela Oberhofer)

Dyan-Gehöft in Ouan (Dept. Bondigui, Prov. Bougouriba). Foto: M. Oberhofer, 1999.Am Beispiel der Ortschaft Ouan lassen sich viele der typischen Merkmale der Migrationsgeschichte segmentärer Gesellschaften der Region herausarbeiten. Der Ort ist aber insofern eine Besonderheit, als das Erdherrenamt hier nicht von einem Mitglied der Lineage des Erstsiedlers besetzt wird. Die Gründe dafür erschließen sich aus den verschiedenen Versionen der Siedlungsgeschichte und aus dem Muster der rituellen Abhängigkeit Ouans von benachbarten Orten sowie der räumlichen Verteilung der Dyan-Lineages. Das Beispiel von Ouan zeigt, daß die Kombination von narrativen Quellen (oralen Traditionen) und nicht-narrativen Quellen (Kartierung von Erdschreingebieten, Verteilung von verwandtschaftlichen Allianzgruppen) die Rekonstruktion einer Siedlungsgeschichte erlaubt, die nicht unbedingt den offiziellen, normativen Versionen entspricht.

In vielen Dyan-Orten stellt die Matrilineage des Erstsiedlers den Erdherren. Teilweise sind dabei auch die Schwestern des Erdherren in das Senioritätsprinzip integriert, so daß eine Frau Erd"herr" sein kann. Einer ihrer Söhne führt dann die notwendigen Opferungen am Erdschrein für sie durch. Auf die Frage, wem das Erdherrenamt in Ouan zusteht, verwiesen alle Interviewten zunächst auf die Lineage des Erstsiedlers, der auch der erste Erdherr in Ouan war. Sowohl die nachfolgenden Erdherren - über deren Abfolge Einstimmigkeit besteht - als auch der heutige Amtsinhaber gehören aber nicht dieser Lineage des Erstsiedlers an. Welche Gründe spielen für die scheinbar patrilineare Vererbung des Erdherrenamtes in Ouan eine Rolle?

In Ouan wurden drei unterschiedliche Versionen darüber präsentiert, zu welchem Erdschreingebiet der Boden vor der Ankunft des ersten Siedlers gehörte. In der ersten Erzählung entdeckte ein Dyan-Jäger aus Kobogo auf einem seiner Streifzüge den fruchtbaren und unbewohnten Ort. Beim zuständigen Dyan-Erdherren in Dolo bat er um Erlaubnis zur Ansiedlung und erhielt einen Stein zur Errichtung eines Erdschreines in Ouan. In der zweiten Version entdeckte ebenfalls der Dyan aus Kobogo als erster den Ort und markierte seine Besitzansprüche mit der Erde eines Termitenbaus. Danach erzählte er einem Freund aus Dolo von der Entdeckung des fruchtbaren Bodens um Ouan. Dieser Dyan-Freund machte sich daraufhin auch Richtung Ouan auf und hinterließ als Zeichen seiner Anwesenheit einen Stein. Als die beiden Männer sich gemeinsam nach Ouan begaben, konnte aber der Jäger aus Kobogo die Termitenerde nicht mehr finden, die seine Besitzansprüche legitimiert hätte; sei es weil sie durch einen Regenguß aufgelöst worden war oder weil sein Freund aus Dolo seine Spuren absichtlich verwischt hatte. Seitdem ist Ouan von Dolo rituell abhängig. Beide Geschichten stimmen überein, daß Dyan aus Dolo - auf ehrliche oder betrügerische Weise - die ersten Besitzer des Bodens in Ouan waren und Ouan somit bis heute rechtmäßig zum Erdschreingebiet in Dolo gehört.

Eine dritte Version der oralen Traditionen wird von Angehörigen der Erdherren-Lineage in Sabta präsentiert. Sie behaupten, daß Ouan zum Erdschreingebiet in Sabta zählt. Mitglieder der Erdherrenfamilie aus Dolo seien indirekt an der Ermordung eines Mannes aus Sabta durch Sklaven beteiligt gewesen, aber durch eine List hätten die Dyan aus Dolo erreicht, daß ihnen als Belohnung für das Auffinden der Mörder der Boden um Ouan von dessen Besitzern aus Sabta übergeben wurde. In dieser Geschichte sind Dyan aus Sabta die eigentlichen Entdecker oder Erstsiedler von Ouan. Die Erzählung könnte, so scheint es auf den ersten Blick, von den Leuten aus Sabta als Mittel der Legitimation ihrer alten Ansprüche auf Erdschreingebiete benutzt oder sogar erfunden worden sein.

Hinter diesen verschiedenen Versionen verbirgt sich aber eine überaus komplexe Situation von ritueller Abhängigkeit zwischen Orten, die nicht in unmittelbarer Nachbarschaft liegen. Im südlichen Teil des Siedlungsgebiets der Dyan gibt es drei alte, bedeutende Erdschreine, zu denen die restlichen Dörfer in Abhängigkeit stehen: Diarkadougou, Dolo und Sabta. Diarkadougou im Westen hat z.B. Bonfesso unter sich; Ouan gehört zusammen mit Sorondigui zum angrenzendem Erdschreingebiet von Dolo. In einem Abhängigkeitsverhältnis zu Sabta steht das in der Kolonialzeit gegründete Bondigui, das aber durch die Einflußsphäre von Dolo und Diarkadougou räumlich von Sabta getrennt ist. Die Erdherrenlineage aus Sabta stellt den Erdherrn von Bondigui und besitzt Fischrechte an einem Wasserlauf südlich von Bondigui, der mitten im Territorium des Erdschreingebiets von Diarkadougou liegt.

Sowohl in Sabta als auch in Ouan und Bondigui gibt es drei Lineages mit engen verwandschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen untereinander. Gemeinsame Migrationsrouten, aber auch die Zusammenarbeit im rituellen Bereich verweisen auf die enge Verbindung dieser drei Familien. Alle Erdherren von Ouan waren Mitglieder dieser Familien, und der Ortsgründer aus Kobogo wurde mit einer Frau aus der Sabta-Erdherrenlineage verheiratet.

Die rituellen Abhängigkeitsbeziehungen und die räumliche Verteilung der Lineages auf bestimmte Dörfer läßt die vormalige Zugehörigkeit des Bodens von Ouan zu Sabta, wie sie die dritte Version der Siedlungsgeschichte postuliert, als wahrscheinlich erscheinen. Die Dyan aus Sabta waren die eigentlichen Entdecker der Region nordwestlich von Sabta bis Bondigui, und ihr Erdschreingebiet wurde erst nachträglich von demjenigen Dolos durchschnitten. Es wäre dann auch nicht mehr verwunderlich, daß der Nachfolger des ersten Siedlers in Ouan nicht zu dessen Matrilineage gehörte. Statt einer matrilinearen Vererbung des Erdherrenamts in der Lineage des Vaters wurde der Sohn in - aus Sicht des Mannes - patrilinearer Linie sein Nachfolger. Die Mutter des Sohns kam aber aus der Orts-Entdeckerfamilie aus Sabta. Unter Anwendung des Prinzips, daß Erdherren aus der Familie der Erstsiedler kommen, hätte dann die Mutter ihrem Sohn das Amt weitergegeben.

Mehr zu Ouan

Einleitung
Forschung und Methoden
Arbeitsergebnisse und ihre Bedeutung
Mobilitätsmuster und Landnahmestrategien
Fallstudien
Niego: intra- und interethnische Kontroversen um die Siedlungsgeschichte (Lentz)
Topoi der Siedlungsgeschichte (Kuba)
Siedlungsgeschichte der Dyan und Pwo in Ouan (Oberhofer)
Lehrforschung
Gemeinschaftsbildung
Bodenrecht
Teilprojekt A 8: Politik und Geschichte mobiler Kulte
Offene Fragen und Ausblick

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Letzte Aktualisierung 05/2002.