Sommersemester 2013 - Vorlesung

 

Leyendo el Quijote. Cervantes’ epochaler Meisterroman im kulturellen Kontext des frühneuzeitlichen Spanien

                                  

Neben der Bibel, der Vergilischen Aeneis und den Metamorphosen des Ovid gibt es wenige Texte, die auf die europäische Literatur einen so großen Einfluß gehabt haben, wie der in seinen zwei Teilen 1605 und 1615 erschienene Ingenioso hidalgo don Quijote de la Mancha. Die englische Tradition von Fielding bis Sterne ist ohne den Don Quijote ebensowenig denkbar wie Flauberts Madame Bovary, Dostojevskis Idiot oder die großen Vertreter des spanischen Realismus. Nichtsdestoweniger ist sein Autor, Miguel de Cervantes Saavedra, ein Kind seiner Zeit: Als junger Mann hat der wenig erfolgreiche Theaterautor an der letzten großen Seeschlacht des Abendlandes – der Schlacht bei Lepanto – teilgenommen, ist in deren Folge von Piraten nach Algier verschleppt worden, wo er mehrere Jahre als Sklave lebte, bis er schließlich von seinen Angehörigen ausgelöst wurde. Wieder in Freiheit hat er wiederholt um einen Beamtenposten in der Neuen Welt angesucht, dies jedoch vergeblich. Und so mußte er sich in seinen späteren Jahren den Lebensunterhalt als Steuereintreiber in den spanischen Provinzen verdienen, was ihm profunde Kenntnisse der Lebenswelt, aber auch einen längeren Gefängnisaufenthalt einbrachte. Der Don Quijote ist die Summa dieses Lebens in und zwischen den Kulturen – und dabei nicht zuletzt ein Plädoyer für irreduzible kulturelle Vielschichtigkeit. Dies zeigt sich bereits an der Rahmenpragmatik des Romans, wenn dort das aufgefundene und dem Roman zugrundeliegende Manuskript einem, wie es heißt, ,lügnerischen‘, arabischen Autor, Cide Hamete Benengeli, zugeschrieben wird und der Erzähler für die Erstellung seiner spanischen Fassung der Übersetzertätigkeit eines ebenso polyglotten, wie unzuverlässigen Mozarabers bedarf. Der solchermaßen inszenierte Streit um die Deutungshoheit der Welt hat auf der Ebene der Geschichte ihre Entsprechung in dem verrückten, sich einen fahrenden Ritter wähnenden Don Quijote, der die ihn umgebende Welt nach Maßgabe der spätmittelalterlichen Ritterromane interpretiert und dabei zu gleichermaßen komischen wie schwerwiegenden Fehleinschätzungen gelangt. Die Wirklichkeit, mit der Don Quijote nicht selten physisch zusammenstößt, obsiegt aber diesen Fehleinschätzungen nicht einfach, sondern wird gerade durch ihre Diskrepanz zu den wahnhaft-idealistischen Deutungen des Don Quijote ihrerseits befragt. In diesem Sinne ist der Don Quijote ein kritischer Roman: Er unterzieht die Lebenswelt der Zeit einer wahnsinnigen Gegenprobe, und wenn am Ende Don Quijote, vernünftig geworden, eben dieser Wirklichkeit im Tod zurückgegeben wird, ist das zwar ein christliches Ende, aber eben kein happy ending.

 

Di 10 - 12 Uhr, P 204

 

Sommersemester 2013 - Hauptseminar Spanisch

 

Das Andere und die Grenze: Mexikanische Selbstentwürfe von Altamirano bis Robert Rodríguez

                                

Seit Mexiko im mexikanisch-amerikanischen Krieg (1846-48) ein Drittel seines Terrains an die Vereinigten Staaten verlor, kreist die Frage nach einer nationalen Identität um diesen Verlust. Mexiko ist das Andere zu den USA: Ein wildes, ungeordnetes Gemeinweisen, gewaltsam und unzivilisiert, zugleich aber auch tropisch erhitzt und erotisch besetzt. Begreifen sich die Mexikaner im Gegenzug als hijos de la chingada, so zeigt sich daran, daß die Vergewaltigung des eigenen Selbst eine wesentliche Konstituente des Identitätsentwurfs ist. In den Romanen und Filmen, die wir in diesem Seminar behandeln wollen, überkreuzen sich Fremd- und Selbstwahrnehmung auf oftmals paradoxe Weise. Wie soll man sich das Fremde aus dem Selbst austreiben? Wie das Eigene ohne das Fremde denken? Ignacio Manuel Altamiranos Roman El Zarco (1869) soll den Ausgangspunkt unserer Überlegungen bilden; denn hier wird Mexiko als ein rechtsfreier Raum entworfen, dessen Protagonisten nachgerade stereotype Bilder des gleichermaßen wilden wie sexuell bestimmten Mexikaners darstellen, und der am Ende von der souveränen Macht des ersten indigenen Präsidenten Benito Juárez staatlicher Ordnung unterworfen wird. Diese euphorische Teleologie dekonstruiert knapp ein Jahrhundert später Juan Rulfo in Pedro Páramo (1955). Hier erweist sich die Suche des Protagonisten nach seinem Vater als die Rückkehr an einen alptraumartigen Ort, der von der willkürlichen Macht des omnipotenten Hypermacho beherrscht wird, und der als Geisterstadt im Wortsinne zugleich Signatur des Gewesenen ist. Wenn der Protagonist eben dort untergeht, wird damit auch die Hoffnung auf einen anderen Weg begraben. Scheint in den beiden Romanen die Grenze und damit der große Andere jenseits des Río Bravo nur in phantasmatischer Form auf, so ist sie in den beiden Filmen, denen wir uns widmen wollen, zentrales Thema. The Three Burials of Melquiades Estrada (2005) liest sich wie eine Umkehrung von Pedro Páramo: Hier wird von den deutlich dysphorisch gezeichneten USA aus eine Rückkehr nach dem Süden angetreten, und wenn sich der erhoffte Sehnsuchtsort in Mexiko am Ende als Illusion erweist, wird damit nicht zuletzt eine Opposition aufgehoben, die das Verhältnis der beiden Länder so lange bestimmt hat. Letzteres gilt in vielleicht noch stärkerem Maße für Robert Rodríguez’ trashige Narco-Saga Machete (2010), in der nicht nur alle denkbaren Stereotype zu einem Konglomerat von Sex und Gewalt zusammengeschmolzen werden, sondern die USA als Hauptabnehmer der Drogen auch als nicht minder barbarisch erscheint, wie das rechtsfreie Mexiko. Der Titelheld Machete entpuppt sich in diesem Zustand der Entropie schließlich als ein wilder Widergänger von Juárez bei Altamirano: Mit seinem gewaltigen Schwert vermag es dieser gerechte Hypermacho, die hijos de la chingada erneut zu virilisieren und stellt damit eine Verkörperung der Souveränität dar, wie sie nur in der filmischen Illusion statt haben kann.

Anschaffung und Kenntnis der Texte und Filme wird vorausgesetzt. Zur Einführung empfohlen: Octavio Paz, El laberínto de la soledad.

 

Mi 12 - 14 Uhr, P 207

 

Sommersemester 2013 - Hauptseminar Französisch

 

Politische Romantik, schwache Helden:
                                    Chateaubriand – Constant – Stendhal – Flaubert

                               

Im Zuge der französischen Revolution fällt nicht nur der Kopf des Königs, sondern mit ihm ein über Jahrhunderte dominantes Modell monarchischer Legitimation – nämlich die Vorstellung von einer mystischen Verbindung von Königsleib und Staatskörper. Damit bricht aber auch ein sprachliches Register zusammen, innerhalb dessen sich bis dato die Literatur bewegte. Das Resultat ist die Romantik, und mit ihr die Frage nach einer neuen Sprache. In Frankreich gilt dies umso mehr, als sich zwischen 1789 und 1851 republikanische und monarchische Staatsformen wiederholt abwechseln, was es mit sich bringt, daß das symbolische Register selbst in sich gespalten bleibt. Die Literatur dieser Epoche ist daher auch insofern immer schon politisch, als sie um das Sprechen kreist und nicht selten dessen Vergeblichkeit zum Thema hat. Anders als bei Balzac, der mit der realistischen Schreibweise einen Ausdruck für die neue Zeit hat finden können, sind die Autoren, denen wir uns in unserem Seminar zuwenden wollen, Suchende. Sie entwerfen keine Aufsteiger oder verbrecherische Titanen, sondern schwache Helden. Wir beginnen unseren Parcours mit Chateaubriands Novelle René (1802), worin die Sprachproblematik angesichts der Revolution bereits auf der Figurenebene thematisch ist. In Constants Adolphe (1816) geht es um die Liebesabsage, mithin um einen performativen Sprechakt des Lossagens, in dem sich nicht zuletzt die Problematik des Parlamentarismus spiegelt. Stendhals erster Roman Armance (1827) erzählt die Geschichte eines unsagbaren Geheimnisses: der Impotenz des Helden, die eine glückliche Liebesverbindung unmöglich macht und in der nicht zuletzt die ungelösten Spannungen der Restauration allegorice zum Ausdruck kommen. Flauberts großangelegte Chronik der 1848er Revolution L’Éducation sentimentale (1869) verhandelt schließlich die Politik im Zeichen einer romantischen Liebe und entwirft damit eine politische Romantik, die nur noch leeres Sprechen ist und deren künstlerische Form eben deshalb auch nur noch eine ironische Schreibweise sein kann.
            Zur Anschaffung empfehlen sich die Ausgaben aus der Reihe folio classique. Die Textkenntnis wird gegebenenfalls in der ersten Sitzung geprüft.

 

Do 12-14 Uhr, P 13

 

Sommersemester 2013 - Kolloquium

Thematisches Kolloquium Literaturwissenschaft/Oberseminar:
Vernunft, Wahnsinn, Phantasie

 

(für fortgeschrittene Studenten, Magister- und Staatsexamenskandidaten, M.A. u. M.Ed). 2-std.

In unserem thematischen Kolloquium wollen wir uns in diesem Semester der Verquickung von Vernunft, Wahnsinn und Phantasie widmen, die nicht erst seit Cervantes’ Monumentalroman Don Quijote die Frage um die Literatur beherrscht. Dem Terminus der Phantasie kommt in diesem Spannungsfeld eine Schlüsselstellung zu, da gerade er es ist, der seit der Geburt der abendländischen Literatur im hohen Mittelalter äußerst kontrovers diskutiert worden ist. Die Phantasie ist jenes gefährliche Dritte, das die Theologie überschießt und uns Welten erleben läßt, die es nicht gibt und aus Sicht der Autoritäten auch nicht geben soll. Sie schlägt sich nieder in Utopien, Heterotopien und Dystopien, und wenn an ihren Grenzen Vernunft und Wahnsinn lagern, so läßt sich von der Phantasie aus nicht zuletzt bestimmen, was diese beiden Termini in ihrer je spezifischen historischen Pragmatik vom Mittelalter bis in die Gegenwart hinein bedeuten.

 

Mi 18 - 20 Uhr, P203

 

 

Sommersemester 2013 - M.A./ Graduiertenkolloquium

Vorstellung von Masterarbeiten und Dissertationen

 

1-std., verblockt, drei je fünfstündige Sitzungen. Beginn am 1. Samstag im Sommersemester (weitere Terminabsprachen erfolgen dort.), P 203


 

 

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