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Vanessa Petzold
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Verkehrschaos, ein ermordeter Menschenrechtler und Streit um Merchandise

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Eintrag vom 14. Juni 2010 -
Vanessa Petzold


Wenn ich mit ordentlicher Hose und weißer Bluse im Büro des Vorbereitungskomitees für das Jubiläum sitze, komme ich mir gelegentlich etwas merkwürdig vor. So hatte ich mir ethnologische Feldforschung nie vorgestellt. Ich fühle mich eher als echte Ethnologin auf Forschung, wenn ich mit Kerze in der einen und dem Wassereimer in der anderen Hand durch die Wohnung laufe, weil es gerade mal wieder weder Strom noch fließend Wasser gibt, ich aber unbedingt noch Wäsche waschen muss.

>Tourismus, die Zukunft der DR Kongo< - Plakat zum Cinquantenaire, hinter einer der vielen Bausstellen, Foto: Vanessa PetzoldEs sind nur noch zwei Wochen bis zum Unabhängigkeitsjubiläum, aber man spürt hier in Kinshasa eher Hektik als Feiertags-Vorfreude. Ziemlich chaotisch werden überall gleichzeitig Straßen aufgerissen und ausgebessert, sodass die Verkehrsstaus noch weit schlimmer sind als sonst.

Dass ganze Stadtviertel - auch das in dem ich wohne - des öfteren zwei oder drei Tage ganz ohne Strom sind, ist wohl auch auf die unvorbereiteten Baustellen zurückzuführen. Aber immerhin: der lange "Boulevard du 30 Juin" ist jetzt komplett renoviert! Er hat nun keine Schlaglöcher mehr und es gibt jetzt sogar Linksabbiegerspuren und Zebrastreifen - beides völlige Neuheiten in der Stadt. Wie Fußgänger es vorher geschafft haben, diese achtspurige (!) Straße lebend zu überqueren, ist mir schleierhaft. Ampeln gibt es in der ganzen Stadt nämlich nicht.

Es ist und bleibt spannend, alles passiert erst sehr kurzfristig. So sind zum Beispiel die Pavillons für die historischen Ausstellungen, die ursprünglich schon im Mai hätten eröffnet werden sollen, immer noch nicht fertig. Jetzt ist der 10. Juli als Eröffnungsdatum vorgesehen.

Um den offiziellen Stoff mit dem Muster aus dem Unabhängigkeits-Logo gab es Streit zwischen den beiden Unterkomitees des Cinquantenaire-Vorbereitungskommissariats. Ein Teil der Stoffe wurde nun doch in China hergestellt und nicht lokal, wie viele gehofft hatten, und diverse kongolesische Designer haben sich inzwischen über chinesische Piraterie beschwert. Das ist schon genug Grund für öffentliche Kritik. Zu allem Überfluss hingen die in China produzierten Jubiläums-Stoffe aber auch noch erschreckend lange in Goma (im Osten des Landes, ca. 1.000 km von Kinshasa entfernt) bei der Zollbehörde fest. Aber seit kurzem gibt es nun endlich den Stoff zu kaufen!

Politisch wird die Feier, um es zurückhaltend auszudrücken, interessant. Die größte Oppositionspartei hat gerade alle Mitglieder und Sympathisanten zum Boykott der Feiern aufgerufen. Das ist ihre Antwort auf die Ermordung des Vorsitzenden einer Menschenrechts-NGO - ein Fall, in den möglicherweise die kongolesische Polizei verwickelt ist. Immerhin wurde der Generalinspekteur der Polizei sogleich seines Amtes enthoben, was aber die Opposition nicht beruhigt hat. Nun gehen Gerüchte um, dass der belgische König seinen Besuch deswegen absagen wird, aber offiziell ist diese Nachricht nicht.

Letzte Woche Sonntag war ich mit anderen Mitarbeitern aus dem Büro des Vorbereitungs-Komitees unterwegs, um T-Shirts, Kappen und andere mit dem Jubiläums-Logo geschmückte Feierutensilien zu verteilen. Das war eine ziemlich abenteuerliche Angelegenheit! In den drei Autos, mit denen wir diverse Stadtteile abfuhren, saßen genauso viele Polizisten und Militärs wie Leute zum Verteilen der Ware, und trotzdem konnten die Autos immer nur für einige Sekunden (!), wenn überhaupt, anhalten. Die Leute haben uns schier überrannt, so begierig waren sie, ein T-Shirt oder eine Kappe zu ergattern. Meistens haben wir die Sachen einfach aus den fahrenden Autos geschmissen. Hinter uns brach dann das Chaos aus - Staus, noch mehr Staub als sonst schon, Menschen, die sich auf der Straße um die Sachen streiten... Was für ein Indikator für die Misere in diesem Land!

Nach dieser Aktion gingen wir dann gegrilltes Ziegenfleisch essen, zu fünft, aus einem Packpapier (ich bin inzwischen schon ganz geübt darin, mit den Fingern zu Essen, aber meistens benutzen wir doch Besteck). Aber immerhin war das Fleisch ganz frisch - die noch lebenden Ziegen standen direkt neben dem Grill. Und um zur "Toilette" dieses kleinen Restaurants zu gelangen, musste man sich an einem angeleinten, aggressiven, kleinen Affen vorbeischmuggeln. Am Ende des Tages wurde ich dann im offiziellen Cinquantenaire-Auto nach Hause gefahren... Was für ein Tag!

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 25.08.2010
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