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Cinquantenaire: Feststimmung von Tanklastwagen-Unglück überschattet

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Beitrag vom 31. Juli 2010
Vanessa Petzold

 

Foto: Vanessa PetzoldAuch nach dem offiziellen Tag der Unabhängig am 30. Juni wird in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa das geplante Feierjahr anlässlich des Cinquantenaire fortgesetzt. Zumindest bis zu meiner Abreise Ende Juli standen noch immer die Spaliere aus kongolesischen und vielen anderen Nationalflaggen an zahlreichen Straßen im Stadtzentrum. Das große Plakat, auf dem ein Leopard für die strahlende Zukunft des Kongo wirbt und das mich im April am Flughafen begrüßte, verabschiedete mich nun auch an derselben Stelle.

Die Jubiläumsaktivitäten werden sich noch bis zum Jahresende ausdehnen, nicht zuletzt deshalb, weil manche zum geplanten Zeitpunkt gar nicht stattgefunden haben. So etwa die Eröffnung der Messe, die eigentlich für Mai vorgesehen war. Trotz der Verschiebung konnte ich sie aber am 24. Juli, kurz vor meiner Abreise, noch miterleben. Drei traditionelle Tanzgruppen, die gleichzeitig und direkt nebeneinander auftraten, und zwei Orchester trugen zum Eröffnungsspektakel einer Buchmesse und einer aus Lubumbashi übernommenen Ausstellung über natürliche Ressourcen bei. Die Buchmesse war allerdings nicht ganz fertig geworden: Nicht alle Stände waren aufgebaut, einige waren leer, weil die Verlage ihre Präsentationen noch nicht geliefert hatten, wieder andere sahen nicht so aus wie ursprünglich vorgesehen. Und auch die übrigen Messepavillons waren noch vollständig aufgebaut. Vor allem Ausstellungen mit Kunst und über die kongolesische Geschichte sollen dort bis zum Jahresende noch zu sehen sein. Die Texte zur Ressourcenausstellung aus Lubumbashi waren auf Französisch und Englisch verfasst und dabei blieb es auch, obwohl bei einem Planungstreffen für die Ausstellung in Kinshasa noch darüber diskutiert worden war, ob man nicht eine Übersetzung in die anderen Nationalsprachen, zumindest aber in das in Kinshasa gesprochene Lingala erstellen sollte. Denn Ziel der Messe sei schließlich, die lokale Bevölkerung zu bilden und zu begeistern, während die Zahl der internationalen Besucher der Messe sehr überschaubar bleiben dürfte.

Wer zur Messe-Eröffnungsfeier nicht eingeladen war, durfte - abseits stehend - trotzdem zuschauen. Als es für die geladenen Gäste dann Häppchen und Getränke gab, wurden die Zaungäste jedoch durch geschlossene Polizeireihen abgeschirmt.

Foto: Vanessa Petzold

Nach dem 30. Juni geblieben und zu einer beliebten Attraktion geworden sind die neuen Plätze. So ist der Rand des großen Springbrunnens mit Leopardenfiguren, dem Wappentier Kongos, am "Place du 30 Juin" immer von Menschen besetzt. Familien ziehen sich extra schick an, um abends, wenn am "Place du Cinquantenaire" die bunten Lampen eingeschaltet sind, Fotos von sich machen zu lassen. Sogar die Tribüne, von der aus die Staatsgäste am 30. Juni die Parade bewunderten, ist stehengeblieben und nach wie vor geschmückt mit Textstücken aus der Nationalhymne, wie zum Beispiel: "pour de bon prenons le plus bel elan dans la paix" - "Nehmen wir endgültig im Frieden den schönsten Anlauf (Elan)". Außerdem profitiert die Bevölkerung Kinshasas weiterhin von den neu gebauten oder zumindest renovierten Straßen. Insofern kann ich nachvollziehen, dass manche Leute fragen, warum man offenbar erst die Ankunft hochrangiger Gäste brauchte, um diese Stadt aufzuräumen.

 

Mein Eindruck ist, dass das Cinquantenaire für die Menschen in Kinshasa v.a. eines war: eine gute Gelegenheit! Jobs taten sich auf, man konnte Geld verdienen, Straßen und Plätze wurden errichtet und es gab einen Anlass zum Biertrinken. Die Schwierigkeiten des Alltags lassen aber für die breite Bevölkerung keinen Raum für tiefgründigere Betrachtungen des Cinquantenaire oder für wahrlich freudige Festtagsstimmung. Das Fest war insgesamt elitär ausgerichtet, wie auch Elikia Mbokolo, Professor für Geschichte in Paris und Kinshasa, in einem Interview mit mir meinte. Aber es sei gut, die Leute träumen zu lassen, fügte Prof. Mbokolo hinzu. Vielleicht, so ergänzte er mit einem Schmunzeln, hätte die Regierung tatsächlich den Bierpreis anlässlich des Festes herabsetzen lassen sollen, wie viele Kongolesen gehofft hatten - das hätte das Cinquantenaire populärer gemacht.

Die Tatsache, dass der 1. Juli in diesem Jahr kurzerhand ebenfalls zum Feiertag erklärt wurde, hatte für die breite Bevölkerung keinerlei Relevanz. Wer sich jeden Tag aufs Neue sein Geld zum Essen erarbeiten muss, für den gibt es keinen Sonntag. Auch die Staatsangestellten, die seit Jahresbeginn nicht mehr bezahlt wurden, lassen sich durch einen zusätzlichen freien Tag wohl kaum beschwichtigen. Selbst die Mitarbeiter des Comité Scientifique des Commissariat Général du Cinquantenaire wurden zumindest während der drei Monate, in denen ich dort mein Praktikum absolvierte, nicht einmal bezahlt. Auf Freude stieß allerdings die Nachricht pünktlich zum Unabhängigkeitstag, dass Kongo im Rahmen der Initiative PPTE - Pays pauvres très endettées ("Hoch verschuldete Entwicklungsländer") rd. 13 Milliarden US-Dollar seiner Schulden erlassen werden.

Bereits am 2. Juli fand die offizielle Feststimmung ein jähes Ende: Ein Tanklastwagenunglück im Osten des Landes beherrschte nun die Nachrichten. 240 Menschen verbrannten, als sie vom aus dem umgekippten Lastwagen auslaufenden Kraftstoff profitieren wollten, der in Flammen aufging. Präsident Joseph Kabila ordnete zwei Tage Staatstrauer an. Die Flaggen an den neuen Plätzen wurden auf Halbmast gesetzt.

Ebenfalls im Juli erschienen die Ergebnisse für die "Examen d'état" - etwa gleichbedeutend mit dem Abitur in Deutschland. In diesem Jahr fielen die Noten wohl deutlich besser als gewöhnlich aus, was sofort dem Cinquantenaire zugeschrieben wurde, wie den lautstarken Feiern der Schüler auf den Straßen zu entnehmen war.

Foto: Vanessa PetzoldAm 7. Juli fand ohne große Vorankündigung ein "Karneval der fünf Baustellen", der "Carneval des cinq chantiers" statt. Zu den fünf "Baustellen", die der Präsident medienwirksam zu seinem persönlichen politischen Projekt erklärt hat, zählen Infrastruktur, Arbeit, Bildung, Wasser und Strom sowie Gesundheit. Bei diesem Karneval nun defilierten alle Baufahrzeuge, die am 30. Juni wegen des vorzeitigen Abbruchs der Parade nicht gefahren waren, mit bunten Fähnchen geschmückt kreuz und quer durch die Stadt, beobachtet von regungs- und begeisterungslosen Menschen am Straßenrand.

Foto: Vanessa PetzoldErwähnenswert ist im Übrigen auch, was im Zuge des Unabhängigkeitsjubiläums vorgesehen war, aber nicht stattfand: der Bau weiterer Denkmäler, deren Modelle in Wettbewerben ermittelt wurden. Außerdem Sportwettkämpfe, Musikwettbewerbe, eine Miss-Wahl und die Fortführung der "Caravanes". Letzteres war eine durch die Stadtteile ziehende Bildungskampagne, die dann aus Geldmangel abgebrochen wurde. Diese Kampagne verbreitete eine von einem General verfasste Version der kongolesischen Geschichte, über die diverse Geschichtsprofessoren nur den Kopf schüttelten.

So traurig es auch ist, dass viele Aktivitäten nicht stattfanden: Für mich löste sich damit mein Zeitproblem. Vor allem im letzten der drei Monate, die ich in der Demokratischen Republik Kongo verbrachte, hatte ich den Eindruck, viel zu viele interessante Termine nicht wahrnehmen zu können. Inzwischen kannte ich mich einigermaßen aus, meine Sprachprobleme hatten sich deutlich verringert und ich traute mich an wichtige Interviewpartner heran. Nun wäre ich bereit gewesen für viele Aspekte der Forschung, die zeitlich allerdings kaum noch unterzubringen waren. So verwendete ich im Juli viel Zeit darauf, gemeinsam mit einer belgischen Ethnologin traditionelle Autoritäten, deren Einfluss im Kongo im Grundgesetz verankert ist, nach ihren Einschätzungen des Cinquantenaire zu befragen. Aber Katriens und meine verwirrende Suche nach den wahren "chefs coutûmiers", das ist eine Geschichte für sich ...

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 01.09.2010
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