Nach dem ereignisreichen Start waren unsere Erwartungen bezüglich des Cinquantenaire groß. Die Kommission, die das Jubiläums organisiert, hat viele Veranstaltungen geplant, die das ganze Jahr über stattfinden sollen. Aber Mali will nicht nur mit großen Spektakeln sein Jubiläumsjahr begehen, sondern auch mit Veranstaltungen, die zum Nachdenken einladen - wie beispielsweise Symposien zu den Themen "Das fünfzigjährige Jubiläum: Erfolge und Misserfolge der 50 Jahre des nationalen Erziehungssystems" ("Cinquantenaire: succès et échecs des 50 ans du système éducatif national") oder "Die Region von Timbuktu: Herausforderungen und Perspektiven für die nächsten 50 Jahre Malis" ("La région de Tombouctou: défis et perspectives pour le prochain cinquantenaire du Mali"). Obwohl wir uns die Arbeit aufteilen, können wir sicher nicht einmal die Hälfte aller Veranstaltungen besuchen. Und es ist erstaunlich, wie viele Menschen von diesen Veranstaltungen angezogen werden.
Allein die Timbuktu-Konferenz schafft mit Vorträgen und Diskussionen tagsüber und einem musikalischen Abend den Spagat zwischen Information und Unterhaltung. So werden die Vorträge über Gutes Regieren (good governance) und die Eigenverantwortlichkeit der Bürger mit großem Beifall belohnt. Am Abend erscheinen nicht nur die vielen Musiker aus der Region Timbuktu, sondern auch die High Society der Songhai herausgeputzt. Als Ehrengäste treten einige Minister aus Timbuktu auf. Der Glanz und die Klänge entschädigen dafür, dass die Lautsprecher nicht optimal eingestellt sind. Von 22Uhr bis 1 Uhr nachts geben die Musiker alles. Dass unsere Kontaktperson uns 2 Stunden zu früh einbestellt hatte, brachte uns immerhin ein Abendessen gemeinsam mit den Musikern ein, auch wenn wir das erst nach einer Weile und etwas verwirrenden Unterhaltungen über der gemeinsamen Soßenschüssel begriffen.
Die ganze Stadt ist im Aufbruch. Viele neue Gebäude schießen aus dem Boden. Außerdem wurde beschlossen, einige Straßen zu renovieren und mit neuen Randsteinen und Grünstreifen zu versehen. Auch die Bauarbeiten am Cinquantenaire-Garten, in dem ein Denkmal errichtet werden soll, gehen voran. Zusätzlich wurde jeder Bürger aufgefordert, einen Baum für das Cinquantenaire zu pflanzen. Das erfahren wir von Arkia, einer kleinen Frau in schillernd blauem Kostüm, die uns durch die Gänge der Radio- und Fernsehanstalt ORTM führt. Sie hat die Reportage über die Pflanzaktion selbst gedreht.
Wir sprinten von einem Amt zum nächsten, um möglichst viele Ansprechpartner für unsere Recherche zu finden. Allerdings wollen sie dann gerade für die Bereiche, nach denen wir fragen, nicht verantwortlich sein. So werden wir vom Ministère de la Culture zur Direction Nationale d'Activités Culturelles und von diesem wiederum zum Ministère Territorial geschickt, das uns schließlich an die Armee weiterleitet. Und das alles nur um zu erfahren, wer für die Parade der Tuareg zuständig ist und wie sie durchgeführt wird - denn außer der jährlich zum Unabhängigkeitstag stattfindenden Militärparade soll dieses Jahr auch noch eine besondere Parade defilieren, die regionale Themen darstellt.
Am 18. August wollen wir es noch einmal genau wissen und begeben uns früh morgens zum Büro der Planungskommission. Unserer Information nach finden dort jeden Mittwoch Treffen aller Mitglieder der Planungskommission statt. Der Präsident der Kommission, Monsieur Dicko, hatte leider weder auf E-Mail-Anfragen noch auf Anrufe reagiert und seine charmante Sekretärin informierte uns nun, dass Monsieur Dicko erst später eintreffen würde, wann genau, sei nicht absehbar. Und eine Sitzung sei heute gar nicht geplant. Einen halben, sehr heißen Tag später erreichte uns ein unbekannter Anrufer: "Allô?... ah, bonjour Monsieur Dicko!" Wir waren sehr überrascht, dass der Präsident der Kommission persönlich zurückrief. Allerdings lehnte er unser Gesuch, an den Planungssitzungen teilzunehmen zu dürfen, bestimmt, ja sogar fast amüsiert ab. Wir wagten noch einen Anlauf, auf den er freundlich antwortete: "Je suis fier de vous." Ich bin stolz auf Sie? Noch mehr Erstaunen auf unserer Seite. Wieso das nun? Aufgrund unseres Interesses? Um davon abzulenken, dass wir gerade abgewiesen wurden? Was wird nur auf dieser Versammlung besprochen, dass unser Beisein unerwünscht ist? Am kommenden Montag werden wir ein Gespräch mit dem Assistenten für Kommunikation, Monsieur Sacko, führen und eine weitere Gelegenheit haben, noch einmal freundlich auf die Planungstreffen zu sprechen zu kommen.
In freudiger Stimmung erwarten wir nun den Startschuss für die Septemberfeierlichkeiten. Wahrhaftig ein Startschuss, denn der Monat des Cinquantenaire soll mit einer Nachstellung der ersten Schlacht gegen die Franzosen beginnen, die sich am 22. September 1878 ereignete. Diese Schlacht hat die Invasion der Franzosen eingeleitet, deren politische Kontrolle dann erst am 22. September 1960 durch die Unabhängigkeitserklärung durch Präsident Modibo Keita beendet wurde. Ein Datum der Erinnerung.