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50 Jahre Unabhängigkeit in Mali. Viel Pomp mit wenig Inhalt?

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Eintrag vom 22. Oktober 2010
Elena Leyh und Aline Müller


Amadou SeydouTraoré (Foto: Elena Leyh und Aline Müller)Kurz vor unserer Abreise hatten wir die Gelegenheit, mit Amadou Seydou Traoré zu sprechen. Traoré, der inzwischen über 80 Jahre alt ist, war als politischer Aktivist der damaligen US-RDA (Union Soudanaise − Rassemblement Démocratique Africain) Zeuge der Versammlung vom 22. Septembers 1960, als in den Räumen des Lycée Techniciens die Republik Mali ausgerufen wurde. An dieses historische Datum hatte auch der derzeitige malische Präsident Amadou Toumani Touré in seiner Rede in der Nacht vom 21. auf den 22. September erinnert:

"La République du Mali est née. Le Mali continue. Toutes les Maliennes et tout les Maliens doivent se considérer comme mobilisés pour la construction de la République du Mali, patrie de tous ceux qui sont fermement attachés à la réalisation de l'Indépendance et de l'Unité africaine …" / "Die Republik Mali ist geboren. Mali besteht bis heute. Alle Malierinnen und alle Malier müssen sich für den Aufbau der Republik Mali einsetzen, das Vaterland all derer, die sich der Verwirklichung der Unabhängigkeit und der afrikanischen Einheit fest verpflichtet fühlen."

Bisher hätten wir diese Worte unbesehen Modibo Keita, dem Staatspräsidenten Malis von 1960-1968, in den Mund gelegt. Doch A. S.Traoré, unser Zeitzeuge der Unabhängigkeit, bestand vehement darauf, dass diese Aussage nicht nur ein vereinfachtes, sondern sogar ein falsches Bild konstruiere. Wir waren erstaunt, mit welch wissenschaftlichem Anspruch der alte Herr, der nach dem Abitur nie eine Universität besuchte, zu Anfang unseres Gesprächs darum bemüht war, die Bedeutung der von uns verwendeten Begriffe genauestens zu klären. Traoré wollte uns keinerlei Informationen zu den Feierlichkeiten des ersten Unabhängigkeitsgeburtstags 1961 liefern, bevor wir nicht von der in unserer Frage impliziten Vorstellung abgelassen hätten, dass allein Modibo Keita das Land geführt habe. „Il n'y a pas de 'sous Modibo (Keita)', il y a 'sous un parti!'". ("Es war nicht unter der Führung Modibo Keitas, es war unter der Führung einer Partei".)

Unser Gespräch fand in einem Container statt, der zu einer kleinen öffentlichen Bücherei umfunktioniert wurde. Auf der Außenseite steht in großen, selbst gemalten Lettern Librairie, Documentation, Multimedia. Ein bescheidener Arbeitsort für den Gründer der Volksbibliothek Malis, finden wir. Wir fragten A. S. Traoré, was ihm von den Feierlichkeiten zum ersten Unabhängigkeitstag 1961 im Gedächtnis geblieben ist:

"Es war ein Gedenktag, damals, das war eine Feier! Man hat demonstriert, was man innerhalb eines Jahres erreicht hat. Man hat die ökonomischen, sozialen und kulturellen Errungenschaften gezeigt, man hat dadurch auch die Einheit des Volkes gezeigt, das Maß des Engagements der Bevölkerung. Es wurden mehrere Umzüge verschiedener Art organisiert, folkloristische, sportliche und künstlerische - es war ein Fest! Eine Militärparade gab es auch, aber es ging eher um die Bevölkerung und deren Engagement beim Aufbau des Landes."

Zu den Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum hatte er seine ganz eigene Meinung:

"Oh, heute hat es keinen Sinn mehr. Heute sehen die Leute nur noch eines - ein Datum, an dem gefeiert wird. Wobei es doch mehr als nur ein Feierdatum ist, es ist vielmehr ein Datum, an dem einige Dinge angesprochen werden sollten. […] Die verschiedenen Bereiche sollten aufgezeigt werden, die wirtschaftlichen, sozialen … Errungenschaften, die Akteure … Es sollte gezeigt werden, wie stark sich die Bevölkerung für die Realisierung der Ideale [der Unabhängigkeit] mobilisieren lässt, und dann würde deutlich: diese Mobilisierung gibt es nicht! ..."

Eine wirkliche Erfolgsbilanz der letzten 50 Jahre ist laut A. S. Traoré nicht zu ziehen. Auch in der Rede des Staatspräsidenten Touré fand übrigens der heroische Widerstand gegen die Kolonialmacht Frankreich weitaus mehr Erwähnung als ein kritischer Blick auf die letzten 50 Jahre der Republik. Das Militärregime Moussa Traorés sprach Touré nur indirekt an, indem er an die Ereignisse im März 1991 erinnerte. Damals stürzte er selbst mit Unterstützung des Militärs die Diktatur Moussa Traorés.

Ansonsten fanden im Centre International de Conférence de Bamako diverse Kolloquien im Zeichen des Cinquantenaire zu verschiedenen Themen statt - so etwa zur Region Timbuktu und ihrem kulturellen Erbe, zu Bildung in Mali, zu Errungenschaften und Fehlschlägen der letzten 50 Jahre sowie zu Modibo Keita. Doch wurden diese Kolloquien kaum beworben und blieben aufgrund des Eintrittspreises von 2.500 CFA (ca. 4 Euro) - für die malische Bevölkerung durchaus eine erhebliche Summe - eher exklusiv. Die Teilnehmer kamen aus einer gebildeten Schicht, und Aufbau und Inhalt der Vorträge richteten sich zweifellos an ein vorgebildetes Publikum.

Einer der wenigen Aspekte der diesjährigen Feiern des Unabhängigkeitsjubiläums, zu denen A. S. Traoré leidenschaftlich das Wort ergriff, war das Thema der Ausladung Moussa Traorés. Nachdem bekannt wurde, dass der Staatspräsident als Zeichen der Versöhnung den ehemaligen Diktator eingeladen hatte, ging eine Welle des Aufruhrs durch die lokale Presse. Außerdem soll Alpha Oumar Konaré, der erste demokratisch gewählte Präsident Malis, um eine persönliche Audienz bei seinem Nachfolger Touré gebeten haben, um seinen Einfluss geltend zu machen. Als Konsequenz der umstrittenen Einladung traten weder Moussa Traoré noch Alpha Oumar Konaré bei den Feierlichkeiten am 22. September in Erscheinung. A. S. Traoré beteuerte, er wäre bereit gewesen, sich auf die Tribüne zu stürzen, wäre Moussa Traoré doch gekommen. Er sah den Rückzug der Einladung seitens des Präsidenten als Ausdruck dafür, dass er die Wünsche des Volkes verstanden habe.

Im Hintergrund der Festtagstribüne, wie auch bei allen anderen Feierlichkeiten, hingen übrigens die Portraits aller ehemaligen Präsidenten in einer Reihe friedlich nebeneinander und ließen keinerlei Differenzen in Führungsstil oder gar einen Hinweis darauf vermuten, dass zwei der Präsidenten durch einen Militärputsch ihrer Nachfolger ihres Amtes beraubt wurden.

Die vier Präsidenten Malis (Foto: Elena Leyh und Aline Müller)

Unser Fazit der Feiern ist bislang, und da schließen wir uns Amadou Seydou Traorés Meinung an: viel Feier, wenig kritische Bilanz. Falls denn die Regierung eine Bilanz gezogen hat, wurde nur wenig Aufwand betrieben, sie der Öffentlichkeit vorzustellen. Und natürlich ist das in der Öffentlichkeit nicht unbemerkt geblieben. In diesem Zusammenhang geht uns die Aussage eines Mopedfahrers, die wir zufällig mithörten, nicht aus dem Sinn: "Le malien ne se manifeste pas, il murmure." / "Der Malier äußert sich nicht klar und deutlich, er murmelt."

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 22.10.2010
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