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Das Cinquantenaire ist schon vergessen - Paul Biya bleibt in den Köpfen

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Eintrag vom 7. Juni 2010
Kathrin Tiewa


Zwei Wochen sind seit den Feierlichkeiten zum goldenen Jubiläum der Unabhängigkeit Kameruns vergangen - und schon erinnert so gut wie nichts mehr daran, dass hier am 20. Mai sowohl das Cinquantenaire als auch der 38. Jahrestag der Wiedervereinigung bzw. der Umwandlung Kameruns von einem Föderal- in einen Bundesstaat groß gefeiert wurde.

Foto: Kathrin TiewaVereinzelte Plakate mit dem Logo des Cinquantenaire sind noch im Stadtzentrum sichtbar, doch in der Peripherie - so denn dort überhaupt Cinquantenaire-Plakate hingen - sind sie längst durch die Werbung großer Telefonanbieter oder Aufrufe zum Lotto-Spielen verdrängt worden. Auch die nationalen Fernsehsender sind verstummt. Berichteten sie noch vor zwei Wochen stündlich über den Verlauf der Feierlichkeiten und strahlten historische Dokumentationen aus, läuft nun wieder das ganz normale Programm.

Für mich ist nachvollziehbar, dass das Cinquantenaire so schnell in Vergessenheit gerät - die Fußball-WM, der Afrika-Gipfel in Frankreich und die Innenpolitik Kameruns verdrängen den Gedanken an das Jubiläum und geben Anlass für neue Diskussionen.

Kamerun ist eine Fußballnation. Nicht nur die Fernsehsender zählen den Countdown zum Beginn der Weltmeisterschaft in Südafrika, wo die "Löwen" ihre Nation vertreten sollen. Samuel Eto'o und seine Kollegen sind in aller Munde. Das Geschäft Foto: Kathrin Tiewader Kleinhändler boomt. Ob Fahnen, T-Shirts, Kappen oder Videos über die "Löwen", alles wird im Stadtzentrum gehandelt. Musikvideos mit der Parole "allez, allez les lions" werden im Fernsehen ausgestrahlt, Fangruppen finden sich zusammen und trainieren, um die Löwen mit sportlichen Einlagen anzufeuern, und die Zeitungen berichten täglich über die Vorbereitungen von Le Guens Schützlingen. Dass die Löwen in den letzten Wochen - wenn nicht sogar Monaten - kein einziges Spiel gewonnen haben, ist unwichtig. Die Löwen verbinden die Nation und geben Hoffnung.

Zudem fand am 1. Juni in Frankreich der Afrika-Gipfel statt, zu dem auch der kamerunische Präsident keine zwei Tage nach dem Geburtstag seines Staates reiste. Diskussionen mit kamerunischen Wissenschaftlern und Kritikern aller Fachrichtungen werden v.a. von den Nicht-Regierungs-Fernsehsendern ausgestrahlt. Begrüßt wird hier, dass der ivorische Präsident Gbagbo ein "Neinsager" zur französischen Afrika-Politik sei. Die Enttäuschung über die gegensätzliche Politik von Präsident Biya wird hingegen nicht öffentlich ausgesprochen. Doch Studenten in den Stadtvierteln kolportieren hinter vorgehaltener Hand, was niemand offen zu sagen wagt: Biya werde immer "ja" zur französischen Politik sagen und das sei es, was Kamerun an seiner Entwicklung hindere.

Für viele Kameruner gibt und gab es gar kein wirkliches Cinquantenaire. Schaut man sich Biyas Verhalten auf dem Frankreich-Afrika-Gipfel sowie seine bejahende Haltung zu Frankreich an, so wird schnell verständlich, warum insbesondere kamerunische Oppositionelle die Unabhängigkeit Kameruns leugnen. Um tatsächlich unabhängig zu sein, so fordern sie, bräuchte man v.a. eine eigene Währung. Kamerun teilt mit vielen frankophonen afrikanischen Staaten den Franc CFA, der sich in seinem Wert nach dem früheren französischen Franc bzw. dem heutigen Euro richtet. Zentrale Institutionen wie Banken werden zudem, wenn auch indirekt, von Frankreich gesteuert.

Außerdem wird vermutet, dass es keine originär kamerunische Idee war, das Jubiläum zu feiern - vielmehr sei Präsident Biya einem Befehl Frankreichs gefolgt. Daraufhin sei am 4. Februar 2010 das kamerunische Organisationskomitee zum Cinquantenaire mit Martin Belinga Eboutou als Vorsitzendem gebildet worden. Jedes Ministerium erhielt die Aufgabe, etwas zum Cinquantenaire beizutragen. Die Feierlichkeiten sollen sich über das ganze Jahr erstrecken, bis zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit der anglophonen Provinzen am 1. Oktober 2011. Doch etliche Mitarbeiter verschiedener Institutionen, die die Veranstaltungen organisieren sollten, ließen mich wissen, dass man "halt das Cinquantenaire macht, aber man lebt es nicht, man fühlt es nicht".

Foto: Kathrin TiewaDas Cinquantenaire in Kamerun macht diejenigen nachdenklich, die sich täglich von Neuem fragen, wie sie ihre Kinder satt kriegen sollen. Ein Budget von 42 Milliarden Francs CFA, umgerechnet etwa 64 Mio. Euro, wurde für die Feierlichkeiten ausgegeben. Das schmerzt sehr, wenn man bedenkt, dass es nicht wenigen Kamerunern an sauberem Trinkwasser, Elektrizität oder Infrastruktur jeglicher Art fehlt - und dies nicht nur in den weit entlegenen Dörfern, sondern schon wenige Meter vom Stadtzentrum entfernt. Also da, wo der Präsident nie hinkommt.

Vor allem das Feuerwerk am Abend des Nationalfeiertags hat die Menschen enttäuscht, weil die bunten Knallkörper ihre Probleme in der Realität nicht lösen. Ich hörte Kommentare wie: "Es wäre schön, wenn man von Feuerwerken satt werden könnte" oder "Ich könnte meinen, ich hätte meine Miete schon bezahlt, doch sobald das Feuerwerk zu Ende ist, werde ich wieder in die kalte Realität entlassen". Das führte dazu, dass die Menschen, obwohl sie über zwei Stunden auf das Feuerwerk gewartet hatten, den Schauplatz enttäuscht verließen, obwohl erst zehn Minuten vergangen waren und noch kein Ende des Spektakels in Sicht war.

Manche meinen auch, die Feierlichkeiten hätten das Thema verfehlt. Das 50-jährige Jubiläum der Unabhängigkeit von Frankreich hätte vielmehr als Anlass genutzt werden sollen, all jener zu gedenken, die im Kampf um die Unabhängigkeit ihr Leben verloren haben - so Ruben Um Nyobé, Roland Félix Moumié, Ernest Ouandji und nicht wenige andere. In seiner 15.000 Wörter umfassenden Auseinandersetzung mit dem Cinquantenaire widmete Präsident Paul Biya lediglich 400 Wörter den kamerunischen Helden, ohne einen einzigen Namen zu nennen. Verständlich, denn hätte er einige Namen genannt, hätten sich Angehörige der anderen Helden empört. Außerdem wäre jeder genannte Name ein Stück Propaganda für die Opposition gewesen, namentlich die UPC (Union de la Population Camerounaise), der viele der besagten Helden angehörten. Für die Regierungspartei wäre eine solche Erinnerung wohl eher unerwünscht, denn schließlich stehen im nächsten Jahr Wahlen an und die Feierlichkeiten waren just der Auftakt zum Wahlkampf der Regierungspartei.

Ich konnte die Feiern nicht nur in der Hauptstadt beobachten, sondern auch Einiges über das Cinquantenaire in anderen Städten Kameruns in Erfahrung bringen. So wurde etwa in Dschang, einer Stadt in der Westprovinz, kurz vor dem 20. Mai ein "Platz Paul Biya" eingeweiht. Eine Aktion, die manche Einwohner Dschangs mit Skepsis betrachteten: Sie fragen sich, warum man den aktuellen Präsident ehren solle, der doch beim Kampf um die Unabhängigkeit eine zu vernachlässigende Rolle gespielt habe.

Auch in Ezeka, der Stadt Um Nyobés, gibt es Stirnrunzeln und trauriges Schmunzeln: eine neue, große, wunderschöne Straße trägt den Namen "Straße Paul Biya", während ein Trampelpfad, der irgendwo ins Nirgendwo führt, "Straße Um Nyobé" heißt.

Foto: Kathrin TiewaNicht wenige hätten sich im Rahmen der Feierlichkeiten eine Schweigeminute für die wahren Helden der Unabhängigkeit gewünscht. Auch ein Denkmal, das all diese Personen würdigt, wäre willkommen gewesen. Ein weiterer Vorschlag war, die Straße der Parade im Zentrum Yaoundés, den "Boulevard du 20 Mai", mit Fotos der Helden zu schmücken. Stattdessen sehen wir jedoch das Gesicht des Präsidenten Paul Biya an vielen Straßenpfeilern und bei jeder Veranstaltung. Es ist sogar noch präsenter als das Logo zum Cinquantenaire.

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 06.12.2010
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