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Cinquantenaire und Geschichtspolitik

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Eintrag vom 21. Juni 2010
Konstanze N'Guessan


Kennen Sie den? Fragt Mobutu eine EU-Dame, die in seinem Land nach Demokratie (oder ihrem Fehlen) sucht: "Madame, haben Sie schon einmal ein afrikanisches Dorf besucht?" - "Ja, Herr Präsident." – "Und hat man Ihnen dort auch das Haus des Dorfchefs gezeigt?" – "Ja, Herr Präsident." – "Und wie steht es mit dem Haus des Chefs der Opposition? - Die Dame schweigt verwirrt. - "Ah, voilà, c'est ça l'Afrique." ("Aha, sehen Sie, das ist Afrika!"), triumphiert Mobutu.

Foto: Konstanze N'GuessanDiesen Witz machte Ouraga Oubou, ivorischer Rechtsprofessor, auf einem Kolloquium zum Thema "Regionale Konflikte und nationale Unabhängigkeiten in Afrika: der Fall Westafrikas", das vom 10.-14. März 2010 in Abengourou stattfand. Er wollte damit erklären, warum es in Afrika seit der Unabhängigkeit so viele Putsche gab und warum sich das auch nach der (Wieder)Einführung des Mehrparteiensystems nicht geändert hat. Das früher dominierende Einparteiensystem wurde in vielen Ländern kulturell, d.h. mit seiner Angepasstheit an afrikanische Traditionen legitimiert. So argumentierte insbesondere auch Präsident Houphouet-Boigny. Aber auch nach der Rückkehr zum Mehrparteiensystem insistieren die Feuilletonisten heute oft, Afrika entwickele sich nicht, weil man die spezifische kulturelle Situation außer Acht lasse und die Traditionen ignoriere. Welche aber diese "afrikanischen" Traditionen sind und welches politische System dazu passt − dieser und verwandter Fragen will man sich in der Côte d'Ivoire anlässlich des Cinquantenaire auf diversen Konferenzen und in Vortragsreihen annehmen.

Bereits 2009 setzte die Elfenbeinküste eine Kommission zur Planung und Durchführung der Festivitäten anlässlich des Festjahres ein, die CNPCICI. Am 31. Januar wurde das Cinquantenaire schließlich in einer festlichen, allerdings nur begrenzt öffentlichen Zeremonie eingeläutet. Ich ergatterte damals eines der hochglanz-vielfarbig bedruckten, 10-Seiten-dicken Programmhefte, die für das ganze Jahr vielfältige Wettbewerbe und Veranstaltungen ankündigten. Doch die Wochen vergehen und Punkt für Punkt im Programmheft verstreicht, ohne stattzufinden. Die schicke Website der Kommission ist einige Wochen nach der Eröffnungszeremonie sogar gänzlich aus dem WorldWideWeb verschwunden. Im Mai gab es gar Gerüchte, das Cinquantenaire wäre abgesagt worden - Wunschdenken aus der Feder eines Journalisten des Oppositionsblatts oder schlicht eine Zeitungsente? Was bleibt, ist die Frage, ob es am 7. August ein Militärdefilée geben wird. Präsident Gbagbo selbst machte das in seiner Ansprache am 31. Januar davon abhängig, ob es vorher Wahlen gibt (was zum jetzigen Zeitpunkt, im Juni 2010, unwahrscheinlich scheint).

Foto: Konstanze N'GuessanDas Kolloquium in Abengourou war das einzige von der Kommission organisierte Programm, das ich bis jetzt beobachten konnte. Es versammelte die Crème de la Crème der intellektuellen FPI-Elite, der Front Populaire Ivoirien, die Partei Gbagbos. So u.a. Ouraga Oubou, führendes Mitglied der FPI und seinerzeit Präsident der Kommission, die die strittige Verfassung von 2000 ausgearbeitet hat. Diese Verfassung änderte die Voraussetzungen für Staatsbürgerschaft und ersetzte das strategisch entscheidende "ou" durch ein "et": Nur die gelten als Staatsangehörige, die von Geburt an Ivorer sind und zwei ivorische Elternteile haben. Zur intellektuellen Prominenz in Abengourou gehörten auch Séry, ein Ethnologe sowie Chef-Ideologe der FPI; Gnamien, FPI-Mitglied und Repräsentant Gbagbos im Ausland; Christophe Wondji, einer der Gründerväter der ivorischen Geschichtswissenschaft und Berater Gbagbos; Yao Kouassi, FPI-Mitglied und enger Freund des Präsidenten - und nicht zuletzt Aké N'Gbo, Ausrichter des Kolloquiums. Er wurde im Mai 2010 nach langwierigen Verhandlungen über die Rechtmäßigkeit seiner Kandidatur zum neuen Präsidenten der Université de Cocody gewählt und ergatterte damit einen der einflussreichsten Posten in der ivorischen Hochschulpolitik.

Diese Zusammensetzung der Kolloquiumsteilnehmer wurde freilich harsch kritisiert. Ein Journalist, mit dem ich mich abseits der Sitzungen unterhielt, fasste die Kritik der Opposition an den Ambitionen der Cinquantenaire-Kommissare, historische Bilanz zu ziehen, so zusammen: Eine ehrliche Bilanz müsse auch den Zustand des Mehrparteienregimes kritisch betrachten … sonst käme man nirgends hin. Das Kolloquium in Abengourou würde aber nur die Freunde des Präsidenten und FPIler versammeln. Man könne jedoch keine Bilanz der nationalen Geschichte ziehen, wenn man die großen Historiker, die der Regierung kritisch gegenüberstehen, außen vorlasse. "L'histoire n'est pas objectif. C'est l'homme qui fait l'histoire" − "Die Geschichte ist nicht objektiv. Der Mensch macht die Geschichte." Der Historiker Gbagbo wisse das und genau deswegen wolle er sich das Cinquantenaire nicht aus der Hand nehmen lassen. Die größte Gefahr für die Kommission und für das Cinquantenaire sei es, von der Politik gekapert zu werden. Wenn Gbagbo vor dem 7. August keine Wahlen organisiere, würden die Leute denken, dass er das Cinquantenaire zu seinen eigenen Zwecken nutze, als Wahlkampfplattform.

Ähnliches erzählte mir Geschichtsprofessor Zinsou, der unter Bédié Botschafter der Côte d'Ivoire in Deutschland war und nach der Machtübernahme Gbagbos aus dem diplomatischen Dienst ausschied. Man habe ihn zwar zu dem Kolloquium eingeladen, so Zinsou. Aber er habe keine Antwort erhalten auf seine Frage, ob man denn willens sei, auch die Bilanz von zehn Jahren refondation - "Neugründung", das Motto, unter das Gbagbo sein Regime gestellt hat, zu ziehen. Darum habe er schließlich seine Teilnahme abgesagt, denn er sei nicht bereit, lediglich "eine Hymne auf den Präsidenten zu singen".

Es ist wohl beides: die Einladungspolitik und die Verweigerung der Kritiker und Opponenten Gbagbos, sich an den Aktivitäten zu beteiligen, wenn die Bilanz, die zu ziehen sich Kipré und seine Kommission vorgenommen haben, eine deutliche politische Schlagseite zu bekommen droht. Mit einem Kollegen von der sozialwissenschaftlichen Fakultät diskutierte ich meine bisherigen Eindrücke. Gbagbo sei Historiker und habe sehr wohl begriffen, so meint mein Gesprächspartner, dass er seine Kritiker mit dem Cinquantenaire in eine schwierige Lage bringt. Entweder sie beteiligen sich und laufen damit Gefahr, sich von Gbagbos refondation vereinnahmen zu lassen und zu Helfershelfern seiner Kampagne zu werden. Oder aber sie verweigern sich und überlassen damit die Oberhoheit über die Definition der Nation und den symbolträchtigen Jahrestag von vorneherein kampflos den "Refondateuren".

Tatsächlich gibt es aber durchaus kritische Stimmen, die sich bewusst an den Aktivitäten des Cinquantenaire beteiligen. So war einer der Vortragenden in der Reihe "Débats du Cinquantenaire" der Historiker Nimakey Koffi. Er äußerte bei seinem Vortrag am 21. April im Rathaus von Cocody scharfe Kritik: "Das Jubiläum zu feiern ist Idiotie! … Wir haben andere Probleme zu lösen!" Und der Bürgermeister von Abengorou, ebenso wie Koffi und Zinsou Mitglied der oppositionellen PDCI - Parti démocratique de Côte d’Ivoire, forderte in seiner Rede bei der Eröffnungszeremonie des Kolloquiums, dass das Cinquantenaire nicht parteipolitisch instrumentalisiert werden dürfe.

Gbagbos Entscheidung, den Historiker und Botschafter Pierre Kipré zum Kopf der CNPCICI zu machen, ist letztlich ein Versuch, die Cinquantenaire-Kommission überparteilich zu organisieren. Glaubt man den Gerüchten in der Presse, dann musste Gbagbo die Nominierung Kiprés gegen erheblichen Widerstand der FPI-Führung durchsetzen. Pierre Kipré, Chef des Planungskommittees, ist schwer einzuordnen. In den 1980er Jahren war er gemeinsam mit Gbagbo in der universitären Opposition aktiv und fungierte als Generalsekretär der Universitätsgewerkschaft SYNARES. Nach deren Zerschlagung und Gbagbos Exil in Paris ließ er sich von Houphouets Politik, politischen Widersachern die Hand zu reichen, in das System der Einheitspartei vereinnahmen. Nach dem Tod Houphouets war er unter Bédié Bildungsminister. Nach dem Sturz der PDCI durch den Putsch Guéis gab er seine Parteimitgliedschaft auf und wurde Berater Guéis. Nach dem Wahlsieg Gbagbos wurde er Gbagbos Botschafter in Frankreich. Er gilt als einer der intellektuellen Väter der "Ivoirité". Aus dem Cinquantenaire möchte er eine Art intellektuelle Nationalkonferenz machen. Spannend ist seine Wahl als Kopf der Kommission nicht zuletzt, weil er gleichzeitig Botschafter der Côte d'Ivoire in Frankreich bleibt und somit eine eigenartige Zwischenposition innehat. Er soll ein Cinquantenaire organisieren, das die ivorische Stellung im "Francafrique" kritisiert und die wahre Befreiung der ivorischen Nation einfordert. Zugleich ist er durch seine diplomatischen Würden diesbezüglich aber – milde ausgedrückt – befangen.

Im Interview mit mir erklärte Kipré das Verhältnis zu Frankreich und das Vermächtnis von Houphouet-Boigny so: "Es stimmt, Frankreich ist sehr präsent … zu präsent, zu einflussreich. Es ist wahr, sie mischen sich ein. Aber wessen Schuld ist das? Haben wir Ivorer denn immer 'Nein' gesagt? Nein! […] Wir haben nicht nur nicht 'Nein' gesagt, sondern waren sogar sehr froh und stolz zu hören, dass man uns als Musterland der frank-afrikanischen Kooperation ansah. Ob uns das gefällt oder nicht, es brauchte jemanden namens Laurent Gbabgo, damit wir uns endlich getraut haben, 'Nein' zu sagen. Die Freiheit hat einen Preis; die Unabhängigkeit hat einen Preis. Was kostet die Unabhängigkeit? […] Man muss 'Nein' sagen, man muss kämpfen, um die verliehene Unabhängigkeit in eine effektive Unabhängigkeit zu verwandeln" (Übers. K. N'Guessan).

Angeblich soll im Jahr 2010 das 43. battaillon d'infanterie de marine der französischen Armee, das die ganzen Jahre hindurch in Abidjan in der Nähe des Flughafens stationiert war, abgezogen werden. Das wurde bereits 2009 beschlossen. Noch aber haben nicht alle Soldaten das Land verlassen. Die Präsenz französischer Truppen im Land ist eines der schlagkräftigsten Argumente jener, die sagen, die Elfenbeinküste sei in Wahrheit nie unabhängig geworden, sondern ein prominentes "Opfer" der Francafrique. Während des Kolloquiums in Abengourou griffen einige Kommentatoren genau dieses Thema auf und spielten auf die wirtschaftlichen Monopolverträge zwischen Côte d'Ivoire und Frankreich an, die noch aus der Zeit der Unabhängigkeit stammen. Kipré versprach den Anwesenden verschwörerisch, er wisse, dass diese Verträge augenblicklich neu verhandelt würden… und Ende des Jahres würde eine entscheidende Veränderung anstehen… Die "wahre Unabhängigkeit", deren Beginn das Cinquantenaire markieren soll?

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 07.12.2010
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