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Seit beinahe zwei Monaten bin ich zurück in Deutschland - meine Feldforschung ist fürs Erste abgeschlossen. Inzwischen haben in der Côte d'Ivoire die lange hinaus gezögerten Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Allerdings konnte im ersten Wahldurchgang am 31. Oktober keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erringen. Von insgesamt 14 Kandidaten haben nur drei eine nennenswerte Anzahl an Stimmen bekommen. Henri Konan Bedié, der Kandidat von Houphouët-Boignys Partei PDCI, erreichte 25,24% der Stimmen. Mehrheiten konnte er nur in seiner Heimatregion und der angrenzenden Region im Zentrum der Côte d'Ivoire erringen, wo die Baoulé die Bevölkerungsmehrheit stellen. Auch im Südwesten des Landes, wo sich viele Baoulé-Pflanzer niedergelassen haben und sich kräftig in der regionalen Politik engagieren, hat er viele Anhänger. Bedié steht aber trotzdem nur an dritter Stelle aller Kandidaten und zieht nicht in die Stichwahl, also in die zweite Runde, ein.
Die Kandidaten der Stichwahl, die für den 28. November vorgesehen ist, sind der amtierende Präsident Laurent Gbagbo (FPI), der im ersten Wahlgang 38,04% der Stimmen erzielte, und Alassane Dramane Ouattara, der Kandidat der RDR, mit 32,07% aller Stimmen. Wie zu erwarten war, hat Gbagbo die meisten Stimmen im wirtschaftlich-politischen Zentrum im Süden des Landes sowie in den marginalisierten Regionen im Westen erlangt, wo die Bété, seine ethnische Gruppe, zumindest in einigen Regionen trotz der massiven Baoulé-Zuwanderung die Bevölkerungsmehrheit stellen. Aber auch die Départements im Osten des Landes gehen alle an den amtierenden Präsidenten. Ouattara hingegen hat praktisch alle Regionen des Nordens für sich gewinnen können und zwar oft mit Wählerstimmenanteilen von bis zu 90%. Damit spiegelt das Wahlergebnis die tatsächliche Spaltung des Landes seit dem Bürgerkrieg in einen rebellenkontrollierten Norden und einen regierungstreuen Süden wieder und zementiert die sog. "Identitätskrise", die doch eigentlich mit diesen Wahlen des "Neuanfangs" und der "Wiedergeburt" ein Ende haben sollte. Ouattaras Wahlkampf bediente sich des Obama-Motivs vom "Wandel". Dagegen mobilisierte Gbagbo die Rede von der "Renaissance" der Nation, die mit diesen ersten freien Wahlen beginne - auf dass er, Gbagbo, der Neugründer der Côte d'Ivoire, endlich mit einem legitimen Regierungsauftrag sein Programm der refondation umsetzen könne.
Tatsächlich haben die Wahlen mehr mit dem 50-jährigen Jubiläum der Unabhängigkeit zu tun als man zunächst meinen würde. Zum einen waren ja die Wahlen mit ein Grund, warum die Opposition immer wieder Kritik am Cinquantenaire übte: Die Regierung sei nicht in der Lage, die längst überfälligen Wahlen zu organisieren und würde stattdessen Geld für eine Feier der Selbstbeweihräucherung verschwenden, lautete ein Vorwurf. Das Cinquantenaire sei ein besonders opulentes Mittel des Wahlkampfs der FPI, lautete ein anderer.
Zum anderen deuten die Wahlergebnisse auf gelungene oder gescheiterte erinnerungspolitische Strategien im Wahlkampf hin. Dass Gbagbo in der Hauptstadt Yamoussoukro nur an dritter Stelle landete, zeigt etwa, dass seine Strategie, in Houphouët-Boignys Fußstapfen zu treten und dessen "Yamoussoukro-als-Hauptstadt"-Kampagne fortzusetzen, offenbar nicht aufgegangen ist. Dafür greift nun, für die zweite Runde, Ouattara auf diesem Feld an.
Wie bereits vor dem ersten Wahlgang abgesprochen, wird Bedié nun den Kandidaten der RDR unterstützen und ruft seine Wähler auf, ihre Stimme Ouattara zu geben. Damit könnte Gbagbos Vorsprung schwinden. Auch Ouattara selbst gibt sich alle Mühe, Bédiés Unterstützer und die PDCI-Stammwählerschaft insbesondere im Zentrum der Elfenbeinküste und den Heimatregionen Bediés und Houphouët-Boignys für sich zu gewinnen. Am vergangenen Wochenende reiste er nach Yamoussoukro, legte Blumen am Grab Houphouëts nieder, traf sich mit den Baoulé-Chefs der Region und richtete im Beisein Bediés das Wort an die versammelte Menge: "Ich bin es, Nanan Allah N'Guessan, der zu euch spricht". Diesen Namen hatte er kurz vorher von den traditionellen Baoulé-Autoritäten verliehen bekommen: "Nanan", ein weiser Alter, eine Respektsbezeichnung, die aufs Engste mit Houphouët-Boigny verbunden ist. "Allah" repräsentiert seine Identität als Muslim, und "N'Guessan" ist gewissermaßen ein Müller-Meier-Schmidt der Baoulé. Dann beschwörte Ouattara, dass sein Wahlsieg "Papa Houphouët-Boigny" ehren würde und beteuerte, er habe nicht vor, "Kirchen in Moscheen zu verwandeln", womit er Ängste der ivorischen Christen vor einem muslimischen Präsidenten aufgriff.
Auch wenn Gbagbos Strategie "Ich bin Houphouétiste, ich wähle Gbagbo" nicht ganz aufgegangen zu sein scheint, war ein anderer Aspekt seiner Erinnerungspolitik von Erfolg gekrönt. Dazu muss man sich die Zahlen im Département Agnéby anschauen, wo Gbagbo 74,89% der Stimmen gewinnen konnte, so viele wie nirgends sonst. Ggabo hatte sich hier insbesondere der Opfer von Houphouëts Komplotten angenommen. Bei seinem Staatsbesuch in Agboville und anderen Orten des Departments Agnéby im September kniete Gbagbo vor dem Grab von Ernest Boka, dem prominentesten Todesopfer der "falschen Komplotte" von 1964, in denen Houphouët-Boigny sich der jungen politischen Elite entledigen wollte, die sich ihm zunehmend widersetzte. Ernest Boka war damals Präsident des obersten Gerichtshofs. Als er sich weigerte, die Gerichtsurteile gegen eine Reihe junger Studenten und Intellektuelle zu vollstrecken, denen Houphouët-Boigny vorwarf, ein Komplott gegen ihn auszuhecken, wurde er festgenommen und einige Tage später erhängt in seiner Zelle gefunden. Während Houphouët-Boigny von Selbstmord sprach, häuften sich Indizien dafür, dass Boka ermordet worden war. Nach dem Tod Houphouët-Boignys ließ Bedié in der Heimatstadt Bokas ein pompöses Mausoleum für den "Märtyrer" errichten. Gbagbo nun ehrte in seiner Ansprache Boka als Nationalhelden und bescheinigte den Abbey, Bokas ethnischer Gruppe, ein heldenhaftes Volk zu sein, das immer im rechten Augenblick widerstanden hätte.
Mausoleum von Ernest Boka (Blog www.laurentgbagbo-president.com) |
In seiner Rede zog der Historiker Gbagbo nun eine Verbindung vom antikolonialen Widerstand der Abbey von 1903-1910 über Boka bis zur heutigen Zeit und schrieb sich selbst in dieses Narrativ ein, indem er die Abbey aufforderte, ihn zu wählen, um auch in Zukunft im richtigen Augenblick "Nein zu sagen": Nein zu Neokolonialismus, Nein zu falschen Freundschaften und Nein zur Scheinunabhängigkeit. Die Bevölkerung des Departement Agnéby dankte es Gbagbo mit einem geradezu historischen Sieg. Zwar hatte die FPI auch in den Wahlen von 2000 im Department Agnéby die Mehrheit erringen können, aber lange nicht so eindeutig.
Bildergalerie zum Besuch Gbagbos in Grand-Morié
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Dass Gbagbo ausgerechnet aus Boka einen Märtyrer machte und nicht etwa aus Kragbé Gnagbé, seinem "Verwandten" im Westen, lässt sich auch als eine Strategie lesen, den Vorwürfen zu begegnen, die FPI seien eine "Bété-Partei". Und tatsächlich schienen sie das nicht zu sein. Denn wenn eine der drei großen Parteien in erster Linie ethnische oder regionale Affinitäten nutzt, dann ist das jedenfalls nicht die FPI, sondern Ouattaras RDR, die nur den Norden erreichte, und auch Bédiés PDCI, die auf der Basis der alten Baoulé-Pflanzer-Eliten im Zentrum und im Südwesten punktete. Ouattaras "Baoulisierung" in Yamoussoukro schlägt da im Prinzip in die gleiche Kerbe ethnischer Mobilisierung. Bleibt abzuwarten, ob sich die PDCI-Stammwählerschaft davon überzeugen lässt.