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Von echten und falschen Houphouétisten

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Eintrag vom 13. September 2010
Konstanze N'Guessan


Am 7. August 2010 feierte die Côte d’Ivoire das 50-jährige Jubiläum ihrer Unabhängigkeit. Zentrales Merkmal des Jubiläums war der Mangel an Erinnerung. Das Fest wurde von der Regierung vielmehr zum Meilenstein der Übergangsphase auf dem Weg in die echte Unabhängigkeit umgeschrieben. Angesichts der politischen Krise, in der sich das Land seit rund zehn Jahren befindet, ordnete der Präsident Ende 2009 an, als man mit den Vorbereitungen des Jubiläums begann, dass man nicht "singen und tanzen" solle. Das täte man in Afrika schon viel zu viel. Statt dessen sollte die Kommission des Cinquantenaire das Jubiläum zum Anlass nehmen, eine breite gesellschaftliche Reflexion anzustoßen. Zentrale Frage sollte sein, was man die vergangenen 50 Jahre falsch und was richtig gemacht hatte. Vor allem sollten Lösungsvorschläge sowie Aktionspläne auf den Weg gebracht werden, sodass zum 100-jährigen Jubiläum dann wieder Anlass zum Singen und Tanzen bestehe. Bei all dieser Zukunftsorientierung kam dem Cinquantenaire der Côte d’Ivoire das Erinnern völlig abhanden.

10 ans de grands travaux, Foto: Konstanze N'GuessanDer Enkel von Mathieu Ekra, dem Schöpfer der ivorischen Nationalhymne, der seit 1949 wegen seiner Konflikte mit der Kolonialregierung im Gefängnis saß, klagte mir gegenüber: "Das Cinquantenaire der Côte d’Ivoire hat Dimbokro vergessen [in Dimbokro steht heute eine Gedenkstätte für die Märtyrer des Unabhängigkeitskampfs, K.N.]. Das Cinquantenaire hat vergessen, dass auch in der Côte d’Ivoire, wo man heute immer wieder von 'aufgezwungener Unabhängigkeit' spricht, Menschen für diese Unabhängigkeit gekämpft und gelitten haben […] ins Gefängnis und in den Tod gegangen sind!". Anlässlich des Jubiläums wurde so gut wie gar nicht an den "Vater der Unabhängigkeit", Félix Houphouët-Boigny, erinnert. Aber auch Erinnerungen an den Unabhängigkeitskampf in Opposition zu diesem ersten Präsidenten der Côte d’Ivoire und der Widerstand gegen den Kolonialismus spielten keine Rolle.

Das hat mich zuerst sehr erstaunt. Houphouët-Boigny selbst hatte im Rahmen seiner Politik einer "Unabhängigkeit in Freundschaft" mit Frankreich keinen Platz für Erinnerungen an den Kampf gegen das französische Kolonialregime und seine Märtyrer. Ich hatte nun erwartet, dass diese verdrängten Erinnerungen in den Händen der amtierenden Regierung zu einem mächtigen Instrument der Geschichtspolitik würden. Schließlich war Gbagbo als Gegner gegen Houphouët angetreten und reklamiert nun, der jüngste Krieg in der Côte d’Ivoire sei in Wahrheit ein Befreiungskrieg. Ich dachte, man würde versuchen, eine Kontinuität zwischen den Helden von einst und den Vätern der "zweiten Unabhängigkeit" herzustellen.

D'un batisseur à l'autre, Foto: Konstanze N'Guessan

Stattdessen mobilisiert Präsident Gbagbo aber ein anderes Erbe. Und zwar - auf den ersten Blick ein Paradox - ausgerechnet das von Houphouët-Boigny, also jenem Mann, als dessen historischer Widersacher Gbagbo sich noch vor einigen Jahren inszenierte. Heute lässt er sich dagegen von der regierungstreuen Presse als "einzig wahrer Erbe Houphouët-Boignys" bezeichnen. Die Wahlkampfspots, die die FPI im Staatsfernsehen ausstrahlen lässt, singen: "Houphouët-Boigny und Laurent Gbagbo: derselbe Kampf" ("Houphouët-Boigny et Laurent Gbagbo: le même combat") und "Ich bin Houphouétiste, ich wähle Gbagbo!" ("Je suis Houphouétiste, je vote Gbagbo!"). Am Nationalfeiertag selbst wurde an die geladenen Gäste ein Hochglanzprospekt verteilt, das die "großen Baustellen Gbagbos in Yamoussoukro" vorstellte. Allein die Bildsprache dieses Heftchens erinnerte frappierend an die Spezialausgaben der Tageszeitung Fraternité Matin, die in den 1970er und 1980er Jahren anlässlich des Nationalfeiertags die großen Baustellen und visionären Projekte Houphouët-Boignys feierte. Aber Gbagbos Baustellen haben jenseits der Bildsprache auch noch eine versteckte Botschaft: Yamoussoukro ist das Heimatdorf Houphouët-Boignys, das dieser 1983 zum Regierungssitz erklären und seitdem zu einer wahrhaft visionären Hauptstadt ausbauen ließ. Allerdings konnte er den endgültigen Umzug der politischen Verwaltung nach Yamoussoukro nicht vollenden. Sein Nachfolger Henri Konan Bedié ließ die Umzugspläne brachliegen, und nun ist es Gbagbo, der seit einigen Jahren diesen Umzug vorantreibt und in Yamoussoukrou einen Präsidentenpalast und den Parlamentssitz bauen lässt.

Auch die Rolle, die der ersten Première Dame Marie-Thérèse Houphouët-Boigny in dieser Erinnerungspolitik zukommt, ist spannend. 2007 appellierte Gbagbo an die im Exil lebende Witwe des ersten Präsidenten, "nach Hause zu kommen". Die Witwe hatte das Land im Streit mit Bedié über ihre Rechte an bestimmten Häusern in und außerhalb des Landes verlassen - sie selbst sah die Häuser als Privatbesitz an, Bedié deklarierte sie als Staatseigentum. In den Folgejahren versuchte Gbagbo, das Haus, in dem Frau Houphouët-Boigny während der langen Regentschaft ihres Mannes residierte und das sie aufgrund von politischer Querelen, Spekulationen und/oder Spielschulden (es gibt widersprüchliche Gerüchte) verloren hatte, auf Staatskosten zurückzuerwerben. Um die genaue Summe wird ein großes Geheimnis gemacht. Anfang 2010 übergab Gbagbo der vor Dankbarkeit in Tränen aufgelösten Marie-Thérèse Houphouët-Boigny jedenfalls die Schlüssel zu ihrem alten, neuen Heim, das nach ihren Wünschen restauriert und eingerichtet worden war. Und zum Jubiläum am 7. August 2010 war die alte Première Dame denn auch die einzige aus dem einstigen Zirkel rund um Houphouët-Boigny, die die Zeremonie auf der Esplanade des Präsidentenpalasts mit ihrer Anwesenheit ehrte.

Wie man sieht, ist es mit der offiziellen Erinnerungspolitik anlässlich des Cinquantenaire nicht so einfach. Aber es ist nicht nur die Regierungsseite, die die Erinnerung an die Unabhängigkeit vor 50 Jahren selektiv nutzt. Auch die Partei Houphouët-Boignys, die PDCI-RDA sowie die RDR, die sich von ihr im Streit um die Nachfolge Houphouëts abgespalten hat, mischen munter mit im Erinnerungsspiel und beschimpfen die "falschen Houphouétisten" als Nestbeschmutzer und Grabschänder. Schon 2005 haben sich die beiden Parteien mit zwei weiteren kleineren Parteien zum "Bündnis der Houphouétisten für den Frieden" zusammengeschlossen. Vor einer Woche hat man auch noch eine vor langer Zeit verschwundene Tageszeitung aus den glorreichen und wirtschaftlich erfolgreichen ersten Jahren nach der Unabhängigkeit le Démorate: Was bleibt vom Erbe der PDCI, Foto: Konstanze N'Guessanwieder aufleben lassen und Le Démocrate mobilisiert nun im Wahlkampf die Erinnerung an diese "guten alten Zeiten" für Houphouëts angeblich "natürlichen Erben" Henri Konan Bedié. Das Instrument der Erinnerungspolitik ist in diesem Fall die Nostalgie. Gleich die erste Ausgabe vom 7. September 2010 titelte mit einem Porträt des "Vaters der Nation": "50 Jahre danach: Was bleibt vom Erbe der PDCI-RDA?". Im Innenteil machen die Fotos von den "Schandflecken" Abidjans - heruntergekommene Hochhäuser in Plateau und die ständig überflutete Autobahnunterführung Indenie - klar, wie die Analyse des Démocrate aussieht: die "Neugründer" der Elfenbeinküste unter Gbagbo haben die Errungenschaften Houphouët-Boignys zu Ruinen verfallen lassen. Eine ehrliche Bilanz der vergangenen fünf Jahrzehnte müsse konstatieren, dass alles, was der Côte d’Ivoire heute noch an Größe, Glanz und Gloria bleibe, zu Zeiten der Herrschaft der PDCI entstanden sei. Gbagbo würde sich wie ein Schmarotzer von diesem Erbe ernähren, zu dem er nichts selbst beigetragen habe.

Le grands Chantier d'Abidjan 1977, Foto: Konstanze N'GuessanSpätestens seit dem Tod Houphouët-Boignys eignen sich sowohl seine einstigen Weggefährten als auch seine Kontrahenten das philosophische Grundkonzept seiner Politik an, den Houphouetismus. Jeder beansprucht für sich, der "wahre Houphouétist" zu sein. Was genau unter "Houphouetismus" zu verstehen ist, ist dabei hinreichend weit gefasst. Sowohl die sozialistische FPI, die Rebellengruppen, als auch Houphouëts Partei PDCI samt diverser Ableger, deren Programme sich ansonsten radikal voneinander unterscheiden, können sich Elemente daraus zurechtbiegen. Zusammengefasst ist der Houphouetismus eine Politik des Friedens und des Dialogs. Die Opposition hatte Houphouëts Politik des "Friedens um jeden Preis" einst als "bleiernen Frieden des Schweigens" diffamiert. Doch seit dem Bürgerkrieg ist Houphouëts Motto zu einem nationalen Gut geworden, das zu erlangen und bewahren sich alle Parteien auf die Fahne schreiben. Houphouët-Boigny war also beim Jubiläum doch ganz präsent, auch wenn Gbagbos "Cinquantenaire der Reflektion" sich zunächst von ihm zu distanzieren schien.

Vielleicht sollte man darum gar nicht fragen, welche Rolle der Vater der Nation im nationalen Erinnern einnimmt, sondern vielmehr aufspüren, wie allgegenwärtig er in den Alltagspraktiken und Legitimationsmechanismen der Politik (noch) ist. Erst dann kann man verstehen, welche Rolle er im Jubiläum gespielt hat. Auch siebzehn Jahre nach seinem Tod ist Houphouët-Boigny noch immer der einzige Referenzpunkt in der nationalen Erinnerung und Politik, an dem sich jeder, der auf der politischen Bühne der Côte d’Ivoire spielen will, orientieren oder von dem er sich abgrenzen muss. Genau das macht es aber unmöglich, ihn einfach nur zu erinnern.

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 07.12.2010
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