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Mit Stöckelschuhen und möglichst wenig Worten, damit man meinen deutschen Akzent nicht bemerkt, schmuggele ich mich in den Sektempfang zur alljährlichen Erinnerung an den Sturm auf die Bastille in der Residenz des französischen Botschafters in Abidjan …
Ich will ein bisschen Mäuschen spielen bei den Franzosen, die sich so gern kosmopolitisch gegeben und "das Jahr Afrikas" gefeiert hätten, aber dafür vom ivorischen Präsidenten Schelte eingefangen haben. Die Residenz des französischen Botschafters liegt in direkter Nachbarschaft der Residenz des ivorischen Präsidenten. Zu Zeiten Houphouët-Boignys und der innigen franko-ivorischen Freundschaft gab es einen Tunnel zwischen den beiden Palästen, damit sich Houphouët im Fall des Falles auf französisches Territorium retten konnte. Präsident Gbagbo hat diesen Tunnel nach seiner Machtübernahme in einer öffentlichen, vom Fernsehen übertragenen Aktion zuschütten lassen. Schon das war ein starkes Symbol! Gbagbo hat auch die Einladung Frankreichs, "sein Jubiläum" in Paris zu feiern und seine Armee dort défilieren zu lassen, ausgeschlagen, weil es "nicht der Sklavenhalter [sei, der] die Befreiung der Sklaven" zu feiern habe. Und jetzt sitzt er direkt neben der französischen Botschaft, während Sarkozy in Frankreich die französisch-afrikanische Freundschaft und "unsere gemeinsame Vergangenheit" feiert, während Pierre Kipré, der ivorische Botschafter in Frankreich und gleichzeitig Präsident der Organisation des ivorischen Cinquantenaire einen diplomatischen Eierlauf vollführt, um seine doppelte Rolle auszufüllen. Die Medien der Opposition, insbesondere Le Patriote, halten den Anti-Frankreich-Diskurs für nichts weiter als Propaganda, weil Gbagbo ja trotz allem Politik mit den Franzosen mache. Das spiegelt eine Karikatur im Le Patriote (RDR) wider, der für einen wirtschaftsliberalen Kurs und Kooperation mit Frankreich wirbt: Sie lässt Sarkozy, der die Abwesenheit Gbagbos und dessen Säbelrasseln, lakonisch kommentieren mit "Ist nicht schlimm, heut Abend ruft er bei mir an und bittet um Verzeihung".
Als das ivorische Parlament 1959 nach der Ausrufung der Republik am 4. Dezember 1958 erstmals einen nationalen Feiertag festlegte, der Wurzeln in der distinkt-ivorischen Geschichte haben sollte, nahm der Präsident der Assemblée Nationale in seinem Antrag noch Bezug auf den französischen Nationalfeiertag am 14. Juli und darauf, welche Bedeutung dieser Tag für Frankreich habe. Der 4. Dezember war dann nur für dieses eine Jahr Feiertag. Schon im Jahr darauf legte die "überraschende" Unabhängigkeit der politischen Elite ein anderes Datum nahe, an dem die ivorische Nation ihrer selbst gedenken sollte, nämlich den 7. August. Der 14. Juli aber blieb und bleibt, wie auch die aktuelle Diskussion in den Medien beweist, noch lange im kollektiven Gedächtnis verwurzelt, zumal Houphouëts Politik der brüderlichen Freundschaft mit Frankreich gegenseitige Staatsbesuche zum Feiertag selbstverständlich machte. Der 14. Juli 1960 etwa, der zeitlich genau zwischen der vertraglichen Festlegung der Unabhängigkeit (zwischen Frankreich und den Ländern des Conseil de l’Entente, neben der Côte d'Ivoire noch Burkina, Niger und Benin) und der Ausrufung der Unabhängigkeit liegt, wurde in Abidjan noch frenetisch gefeiert, Houphouët ließ defilieren, badete in der Menge und betonte die ivoro-französische Freundschaft, an der auch die Unabhängigkeit nichts ändern würde.
Am 14. Juli 2010 wird in Paris nicht nur der französische Nationalfeiertag, sondern auch das Cinquantenaire von 14 Ex-Kolonien gefeiert. Allerdings werden nur 12 Staatschefs anwesend sein und nur 13 Armeen defilieren: Madagaskar schickt nur seine Armee, weil Präsident Rajoelina von Paris ausgeladen wurde, und der Präsident der Elfenbeinküste Laurent Gbagbo verweigert sich komplett. Pierre Kipré, Botschafter der Côte d'Ivoire in Frankreich und Präsident der nationalen Kommission zur Organisation des Unabhängigkeitsjubiläums, übersetzt Gbagbos Verweigerungshaltung so: "50 Jahre Unabhängigkeit, das ist unser Geburtstag, nicht der Geburtstag Frankreichs. Es ist nicht an Frankreich, diesen Geburtstag zu organisieren. Wir haben eine gemeinsame Geschichte, aber heute feiern wir nicht den Kolonialismus, sondern die Ära der Unabhängigkeit." Gbagbos Weigerung enthält aber auch eine aktuelle politische Botschaft. Gbagbo hat anlässlich des Afrika-Frankreich-Gipfels im Mai angekündigt, dass er so lange nicht französischen Boden betreten wird, bis Frankreich sich bereit erklärt, die Akten zu öffnen, die die Vorfälle vom September 2002, als französische Soldaten auf ivorische Demonstranten schossen, und vom November 2004, als Frankreich die ivorische Luftwaffe zerstörte, betreffen. Die französische Armee ihrerseits ist wahrscheinlich nicht gerade erpicht darauf, Seite an Seite zu defilieren mit jener Armee, die 2004 neun ihrer Kameraden - während der Bombardements der ivorischen Luftwaffe zur Befreiung Boaukés von den Rebellen bei der "Opération Dignité" - tötete.
Die Pläne Frankreichs, die afrikanischen Armeen anlässlich des französischen Nationalfeiertags defilieren zu lassen, werden in den ivorischen Medien heiß diskutiert, insbesondere in Zusammenhang mit der dauerhaften Präsenz französischer Armeen auf afrikanischem Boden. In den Augen vieler erinnert diese Präsenz schmerzhaft daran, dass es mit der nationalen Souveränität und der "Freiheit" der ehemaligen französischen Kolonien 50 Jahre nach der Unabhängigkeit offenbar doch nicht so weit her ist. Mit dem Ausbruch des Bürgerkriegs in der Elfenbeinküste wurde das schon seit 1960 in Abidjan stationierte 43. Bataillon der französischen BIMA auf über 3.000 Soldaten aufgestockt - die Operation Licorne sollte den Waffenstillstand zwischen Rebellen und Regierung sichern, wird von Seiten der Falken in der ivorischen Regierung aber immer wieder als Kriegstreiberei und Unterstützung für die Rebellen diffamiert. 2009 wurde das Ende der Operation Licorne und der schrittweise Abzug der französischen Soldaten beschlossen.
Der ostentative Rausschmiss der Franzosen im Senegal durch Abdoulaye Wade anlässlich des Cinquantenaire im April 2010 wird von den Anhängern Gbagbos als Befreiungsakt gefeiert - ganz im Sinne des "Kriegs gegen Frankreich", den "Kamerad Laurent" seit 1990 führe (so Parlamentspräsident Mamdou Koulibaly), und über den Le Temps Hebdo, eine relativ neue, dem Präsidenten nahe stehende Wochenzeitung, am 7. Juli 2010 schreibt. Höhepunkt dieses Kriegs sei die Zerstörung der ivorischen Luftwaffe gewesen, ein junges Symbol einer echten Souveränität. Und die französischen Bomber, die das getan hätten, seien in befreundeten afrikanischen Nachbarstaaten stationiert gewesen. Senegal und die Elfenbeinküste hätten es vorgemacht. Wenn wir die Franzosen endlich rausschmeißen, wenn wir die Ketten des Neokolonialsmus endlich abwerfen, so die Zeitung weiter, dann können sie uns nicht mehr zwingen, wie die "Neger" vor ihnen auf den Champs Elysées zu defilieren, mit Armeen, die keine sind und die im Zweifelsfall von Frankreich nicht ernst genommen werden. Wir haben das unseren angeblichen Gründungsvätern zu verdanken, aber es ist an der Zeit das zu ändern! Senegal und Côte d'Ivoire machen es vor und feiern dieses Jahr, feiern ein Jahr Unabhängigkeit. Die Elfenbeinküste feiert - dank Kamerad Gbagbo - schon 20 Jahre Kampf für diese Freiheit!
20 Jahre Mehrparteiensystem, 20 Jahre Fête de la Liberté, der alternative Nationalfeiertag der FPI, der an den Kampf von Gbagbos Partei für die Demokratisierung und die wahre Unabhängigkeit erinnern soll. Die erste Fête de la Liberté fand am 30. April 1991 in Youpougon statt - unter hoher Beteiligung der Bevölkerung und trotz wiederholter Kritik, dass ein solches Fest doch unsinnig sei, weil ein Mehrparteiensystem ja nicht gleich Freiheit sei und man im Übrigen auch schon einen Nationalfeiertag habe, der die Freiheit feiere: nämlich den 7. August. Im Laufe der Zeit aber hat das "Fest der Freiheit" für viele Ivorer einen ähnlichen Status erworben wie der Nationalfeiertag im August, wenn es nicht sogar letzteren an Popularität überholt hat. Die Fête de la Liberté entstand zu einer Zeit, als der Unabhängigkeitstag nicht öffentlich gefeiert wurde, als weder Militärdéfilée noch Volksfest dem Volk die Möglichkeit gaben, Nationalstolz zu zelebrieren. Die FPI griff dabei geschickt auf Elemente der glorreicheren Tage der Unabhängigkeitsfeiern in den 1960er und 1970er Jahren zurück - wie etwa das Rotationsprinzip. Die Fête de la Liberté fand zunächst in Abidjan, dann in wechselnden Städten im Landesinneren statt - 1994 in Man, 1997 in Adzopé, 1998 in San Pedro, 1999 in Abengourou. Das 10-jährige Jubiläum kehrte nach Abidjan zurück - und zwar nun erstmals im August unmittelbar vor dem Unabhängigkeitstag. Damit ergab sich ein symbolkräftiges Bild: General Guéi feierte in Yamoussoukro am Grab Houphouëts eine Hommage an den verstorbenen Gründervater und Gbagbo feierte in Abdijan sein Antifest. Ein Fest, das nicht nur die Rückkehr zum Mehrparteiensystem zelebriert, sondern spätestens seit der Machtergreifung der FPI auch das politische Großprojekt der refondation feiert, die alle zentralen Achsen der Politik Houphouets - insbesondere auch im Hinblick auf die Beziehungen zu Frankreich - in Frage stellt.
Zum 20-jährigen Jubiläum 2010 wurde so insbesondere eines betont: Die Elfenbeinküste ist jetzt auf dem Weg zur echten Freiheit. Es gibt jetzt kein Zurück mehr, so der Tenor der Diskurse. Es geht nur noch vorwärts. Ohne Frankreich, feiern wir unsere eigenen Feste, nach unserer Definition dessen, was gefeiert werden soll. Frankreich und die ewig gestrigen sollen ruhig 50 Jahre "Unabhängigkeit" auf den Champs Elysées feiern: Wir feiern den Rauswurf der Franzosen, wir feiern das einjährige, oder das 20-jährige, oder auch das 50-jährige Jubiläum, aber jedenfalls nach unserer Manier … Und wir dürfen nicht zulassen, dass sie unsere Nationalhelden der Gegenwart als Kommunisten diffamieren, wie sie es mit den Nationalisten der ersten Stunde gemacht haben. Wir müssen auf unsere Helden aufpassen, wir müssen selbst an unsere Helden erinnern, niemand macht das für uns. Dann wird es eines Tages auch "frankophone Mandelas" geben. Wie diese frankophonen Mandelas dann heißen sollen, das verdeutlicht die Bildsprache eines der ausgestellten Plakate zur diesjährigen Fête de la Liberté: Gerade Linien wandern von Jean Jaurès über Martin Luther King, Mahatma Gandhi, Nelson Mandela und Patrice Lumumba zu Laurent Gbagbo. "Sie haben für unsere Freiheit gekämpft" - so der Untertitel, und "Danke aus ganzem Herzen".