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Des Volkes neue Kleider…

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Eintrag vom 23. Juni 2010
Konstanze N'Guessan


Das Gewand der Freiheit leuchtet nationalfarben-bunt. Die Freiheit ist käuflich für jedermann, hat doch UNIWAX, der größte einheimische Stoffproduzent, mehrere Versionen Freiheitsstoff im Angebot. Es gibt den Stoff in einer festeren und einer eher durchscheinenden Variante - zu verschiedenen Preisen, versteht sich. Kein Ivorer, ob arm oder reich, soll als Sklave in das neue Zeitalter eingehen.

Am 17. Juni 2010 veranstaltete die FPI-Fraktion der Nationalversammlung ein wissenschaftliches Forum. Anlässlich des Cinquantenaire wollte man über die Rolle des Parlaments als Kontrollorgan in politischen Krisenzeiten reflektieren. Als Patronin der Veranstaltung fungierte Simone Ehivet Gbagbo, Première Dame der Côte d'Ivoire und gleichzeitig  Fraktionschefin der Regierungspartei Front Populair Ivoirien (FPI). Die Abgeordneten der drei größten Oppositionsfraktionen (PDCI, UDPCI und SOLIDARITÉ) boykottierten die Veranstaltung. In einem offenen Brief an den Organisator begründeten sie das zum einen formell: Der Präsident der Nationalversammlung hätte die Parlamentarier dazu einladen und dafür sorgen müssen, dass alle Mitglieder des Parlaments beteiligt werden und genügend Zeit für die Vorbereitung haben. Zum anderen führten die Oppositionsparteien für ihre Verweigerungshaltung auch einen prinzipiellen Grund an: Die FPI instrumentalisiere das Cinquantenaire, um die Organisation von Wahlen zu verzögern.

So sind also mit Ausnahme eines unabhängigen Kandidaten und einem Anhänger der Arbeiterpartei PIT nur Abgeordnete der Regierungspartei beim wissenschaftlichen Forum anwesend. Sie diskutieren mit Vertretern der Universität, der Medien und verschiedener (halb-)staatlicher und zivilgesellschaftlicher Institutionen diverse Themen. Der Inhalt dieser Debatten soll uns hier nur am Rande interessieren. Mir geht es heute um des Präsidenten neue Kleider …

Foto: Konstanze N'GuessanIn ihrer Rede erklärt Simone Ehivet Gbagbo, dass das Cinquantenaire kein parteipolitisches Fest sei, sondern von Gott selbst käme. Das vergangene halbe Jahrhundert Geschichte der Côte d'Ivoire fasst Madame Gbagbo mit einem biblischen Vergleich zusammen: "In der Bibel steht, wenn jemand seinem Nächsten etwas schuldig ist und diese Schuld nicht bezahlen kann, kann der Schuldner den Gläubiger zu seinem Sklaven machen, bis zur Begleichung der Schuld. Wenn der nach 7 mal 7 Jahren, das heißt nach 49 Jahren, noch immer nicht in der Lage ist, seine Schulden zu begleichen, ist der Herr verpflichtet, seinen Sklaven freizulassen. Der freigewordene Sklave veranstaltet im 50. Jahr dann ein großes Fest zur Feier seiner Befreiung. Dieses Fest nennt man Jubiläum. Das Cinquantenaire ist also seit ewigen Zeiten in der Bibel beschrieben. Es ist keine modische Erscheinung, keine Verschwendung und noch viel weniger eine FPI-Party."

Der biblische Vergleich erlaubt Simone Gbagbo, auf den Befreiungsdiskurs der FPI zurückzugreifen. Der besagt, dass die Côte d'Ivoire erst durch die refondation durch Präsident Gbagbo zu einem wirklich unabhängigen Land wird. Die vergangenen 49 Jahre seien eben trotz offiziell verliehener Unabhängigkeit Jahre der Unfreiheit und Sklaverei gewesen. "Deshalb ist das Jahr des Cinquantenaire gleichzeitig das Jahr der Befreiung und der Erneuerung", meint die FPI-Politikerin. Sie findet zudem ein starkes Symbol für ihre These, dass sich die Elfenbeinküste auch nach 1960 in einem Zustand der Unfreiheit befunden habe. Sie nennt es "die Unabhängigkeit der durchbohrten Ohren". Ohrlöcher seien ein altes Symbol für den Sklavenstand. Sie blieben auch dann erhalten, wenn der Sklave nach seiner Befreiung bei seinem Herren bleibe, anstatt Eigenverantwortung zu übernehmen. In der Côte d'Ivoire habe man nur eine Unabhängigkeit bekommen, die die Ivorer weiterhin Sklaven sein ließe. Es sei daher notwendig, nun endlich auch symbolisch in ein neues, freies Zeitalter aufzubrechen. Die Ivorer sollten das Sklavengewand ablegen und sich in den pagne, den Stoff des Cinquantenaire hüllen.

Foto: Konstanze N'GuessanSchon anlässlich der öffentlichen Vorstellung des Cinquantenaire-pagne im Golf Hotel am 5. März 2010 war es die Première Dame, die in Bezug auf das Cinquantenaire die echte, wahre Unabhängigkeit anmahnte und die (Wieder-)Geburt der Nation ankündigte. Simone Gbagbo bezeichnete den festlichen Stoff als "Materialisierung der nationalen Souveränität" und als "Uniform der wiedergeborenen Côte d’Ivoire". Bezugnehmend auf das Alte Testament (Levitikus) erklärte sie, diese "neuen Kleider" seien das Zeichen, dass nach 49 Jahren Dienerschaft die "wahre Unabhängigkeit, die neue Souveränität einer friedlichen Côte d'Ivoire", erreicht worden sei.

Das Volk also soll, wenn es nach Simone Gbagbo geht, am 7. August gekleidet in den UNIWAX Cinquantenaire-pagne in ein neues, freies Zeitalter schreiten. Arnold van Gennep und seine Theorie über Passagerituale lassen grüßen. Ich jedenfalls decke mich gleich morgen für ein sklavenfreies Dasein ein - schließlich sind es nur noch 6 Wochen bis zur Feier!

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 07.12.2010
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