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Von Feiertagen, Religionen und Scherzbeziehungen

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Eintrag vom 14. Oktober 2010
Svenja Haberecht

 

Als Forscherin zum Cinquantenaire fühle ich mich derzeit in Bobo-Dioulasso wie im Schlaraffenland. Fast jeder Veranstalter nutzt das goldene Jubiläum der Unabhängigkeit als Aufhänger für seine Aktivitäten. Wenn ich mich also zu einer "Veranstaltung zum Cinquantenaire" aufmache, kann es sein, dass ich mich auf einem bunten Konzertabend, einem "Forum nationale des femmes" (Nationalen Forum der Frauen) oder einer Konferenz der Katholiken wiederfinde.

So hatte die katholische "Groupe Samuel" eine Konferenz einberufen, um in die Rolle der katholischen Kirche in Burkina Faso den letzten 50 Jahren zu reflektieren. Gleichzeitig feierte sie ihr 35-jähriges Bestehen. Ein wichtiges Thema war die Bedeutung der katholischen Kirche für das Schulwesen in Burkina Faso. Man sprach von Missionaren, die in den 1960er Jahren in die Häuser gingen, um die Kinder zu ihrem Glück - weg von den Feldern und hinein in die Schulen - zu zwingen. Kritische Stimmen aus dem Plenum fragten nach der heutigen Bedeutung der katholischen Kirche und danach, wie man es schaffen wolle, ihren Einfluss in der burkinischen Gesellschaft zu stärken.

Erst am Vortag dieser katholischen Konferenz hatte ich das große Fest des Ramadan miterlebt, mit dem die Muslime das Ende der Fastenzeit begehen. Es ist ein interessantes Beispiel für einen nationalen Feiertag, der im privaten Raum stattfindet: Mengen an Essen werden zubereitet, weshalb die meisten Frauen den Großteil des Tages zu Hause verbringen. Dann werden die Gerichte an Nachbarn und Freunde verteilt. Es sind also in erster Linie die privaten Räumlichkeiten der Freunde, Bekannten, Nachbarn und Familienangehörigen, die an diesem Tag eine Rolle spielen. Hinzu kommen dann noch die Moscheen als Treffpunkt zum Gebet, aber selbst die Einhaltung der Gebetszeiten ist am Tag der Feier nicht obligatorisch.

Ramadan ist außerdem ein Beispiel für einen nationalen Feiertag, der die religiöse Identität in den Vordergrund stellt - es ist ein Fest der Muslime. Und da es in Bobo, wo ich momentan forsche, sehr viele Muslime gibt, wirkt es fast wie ein Fest Aller. Aber es gibt in Bobo eben auch viele Christen - zumeist Katholiken - sowie Anhänger traditioneller Religionen. Die Art und Weise des Zusammenlebens der verschiedenen religiösen wie auch ethnischen Gruppen war in den letzten Wochen eine der Fragen, die mich besonders interessierte.

Religion spielt ebenso wie ethnische Zugehörigkeit eine wichtige Rolle in Burkina. Dies macht sich schon an kleinen alltäglichen Dingen bemerkbar, z.B. wenn meine Forschungsassistentin ihre Gebetsmatte einpackt, um in unserem terminreichen Arbeitsalltag kleine Pausen für das Gebet einlegen zu können. Oder dass, als ich im Krankenhaus lag, sich die katholische Familie meines Bettnachbarn um mich herum gruppierte und Gebetsgesänge für meine Genesung anstimmte. Viele meiner Gesprächspartner betonen die religiöse Toleranz der Burkinabè als einen wichtigen Aspekt im täglichen Zusammenleben. Muslime und Christen sind miteinander befreundet, gratulieren sich gegenseitig zu Feiertagen oder feiern sogar gemeinsam. Auch Ehen zwischen Christen und Muslimen sind in Burkina Faso keine Seltenheit. Selbst innerhalb einer Familie kann es vorkommen, dass ein Kind sich für den Islam, ein anderes für das Christentum entscheidet.

Ähnlich verhält es sich mit den ethnischen Gruppen. Hier in Bobo-Dioulasso gibt es Dioula, Bobo, Peulh, Mossi, Senufo, Tuareg, Bamana und viele mehr. Nachnamen dienen als Marker für ethnische Herkunft, wenngleich die Ethnien mittlerweile teilweise stark vermischt sind und viele der Bewohner Bobo-Dioulassos ursprünglich aus Mali kommen. Wer Sidibé, Dialo oder Diko heißt, ist bestimmt ein Peulh, ein Sanou höchstwahrscheinlich ein Bobo, und die Familie einer Konaté kommt mit relativ großer Sicherheit ursprünglich aus Mali.

Im Zusammenleben der unterschiedlichen Gruppen spielen die parenté à plaisanterie (Scherzbeziehungen, Scherzverwandtschaft) eine wichtige Rolle. Hierbei ist es Mitgliedern bestimmter ethnischer Gruppen erlaubt, sich nach festgelegten Regeln gegenseitig zu verspotten. Die Pflege dieser besonderen Beziehungen sind im Alltag sehr schön zu beobachten. Während ich noch ganz entrüstet über eine verbale Entgleisung meines Assistenten bin, die wie aus dem Nichts zu kommen schien, erklärt dieser mir vergnügt, das Gegenüber seiner wüsten Beschimpfungen sei ein Bobo und damit sei es für ihn als Peulh doch völlig angebracht, eine kleine Beleidigung wie "Du bist ja hässlich wie ein Hund" vom Stapel zu lassen. Ähnliche Scherzbeziehungen gibt es z.B. zwischen den Ethnien Mossi und Samo, aber auch zwischen Familiennamen wie Konaté und Coulibaly. Genauso kann ein cousin á plaisanterie ("Scherzcousin") bei einem Streit als Vermittler eingeschaltet werden. Wenn sich also zwei Coulibaly streiten, können sie eine Konaté einschalten, um zu schlichten.

Diese ethnischen Verflechtungen und teils weit in die Vergangenheit zurückreichenden Verhaltensmuster finde ich höchst interessant und bin gespannt, noch viel mehr darüber zu erfahren. Bisher erscheint mir nämlich die Darstellungsweise der Beziehungen zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen in Burkina Faso durch meine Interviewpartner stark romantisiert. So frage ich mich nach den Grenzen der Wirksamkeit von Scherzbeziehungen, bspw. im Falle von Ressourcenknappheit oder im Streit um Grund und Boden. Eine wesentliche Frage, die sich für meine Forschung stellt, ist, wie anlässlich der Feier des Cinquantenaire mit den beschriebenen Differenzen umgegangen wird. Was ist - neben allen religiösen und ethnischen Unterschieden - das Gemeinsame zwischen allen Burkinabè? Wie schafft es die Regierung, aus dem goldenen Jubiläum der Unabhängigkeit eine Nationalfeier zu machen, die alle Gruppen gleichermaßen anspricht? Wie wird erreicht, dass man eben nicht als Mitglied einer Ethnie oder einer Religion adressiert wird, sondern als Burkinabè, der das Bestehen einer unabhängigen gemeinsamen Nation feiert?

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 15.12.2010
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