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Univ.-Prof. Dr. Carola Lentz
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"Lasst uns das aufstrebende Burkina gemeinsam bauen!" - Ein Einweihungsmarathon im Preußen Westafrikas

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Eintrag vom 10. Dezember 2010
Carola Lentz

 

"Gemeinsam das aufstrebene Burkina erbauen!" (Foto: Carola Lentz)Präsident Blaise Compaoré, vor knapp 3 Wochen mit gut 80% der Stimmen (bei nur 36% Wahlbeteiligung) wiedergewählt, grüßt in der ganzen Stadt von Plakaten, die an den funkelnagelneuen Straßenlampen aufgehängt wurden. Die großen Boulevards sind gerade noch rechtzeitig für die Ankunft der Staatsgäste und für die Militär- und Zivilparade am morgigen Samstag fertig geworden. "Der Bauherr" ("Le bâtisseur") oder auch "Lasst uns das aufstrebende Burkina gemeinsam bauen!" ("Bâtir ensemble un Burkina émergent!") lauten die Unterschriften unter Compaorés Foto, neben das oft noch eine Abbildung von einem neuen Staudamm, einer imposanten Straßenbrücke oder anderen Ingenieursleistungen montiert ist. Burkina will sich während des Cinquantenaire ganz offensichtlich als moderner, aufstrebender Staat präsentieren, der aber auch Kraft aus seinen traditionellen Wurzeln zieht.

Die Woche vor dem Höhepunkt der Cinquantenaire-Feiern am 11. Dezember war und ist ein Marathon der Einweihungen, die alle im Zeichen der Modernisierung, nachhaltigen Entwicklung und Armutsbekämpfung stehen, wie die Einweihungsredner zu betonen nicht müde wurden. Am Montag wurden ein neues Postamt in einem populären Stadtviertel eingeweiht und eine Sonderbriefmarke zum Cinquantenaire vorgestellt; am Dienstag wurden das regionale Büro des obersten Presserats (Conseil Supérieur de la Communication) eröffnet und die Straßen in einem neu erbauten Stadtviertel getauft; für Mittwoch war die Einweihung einer neuen Verkehrsinsel samt neuem Denkmal auf dem Place de la Femme geplant, die aber auf Freitag verschoben werden musste, da es noch nicht fertiggestellt war, und am Freitag aus Protokollgründen nochmals auf einen unbestimmten Termin verlegt wurde. Das war aber auch schon der einzige Festakt, der aufgeschoben werden musste, und am Donnerstag lief das Programm auf Hochtouren wie am Schnürchen: 9 Uhr - Einweihung des renovierten Flughafengebäudes; 10 Uhr - Einweihung des neu erbauten Frucht- und Gemüsemarkts; 11 Uhr - Einweihung des neuen Gebäudes für die Verwaltung der Region Hauts Bassins (deren Regierungssitz Bobo-Dioulasso ist);

Einweihung des renovierten Flughafens von Bobo-Dioulasso (Foto: Svenja Haberecht)  Einweihung des neuen Obst- und Gemüsemarkts (Foto: Carola Lentz)

12 Uhr - Einweihung der restaurierten Bahnhofsgebäude von Bobo-Dioulasso und einer Fotoausstellung über die Geschichte des Eisenbahnverkehrs im Land; Denkmal des Cinquantenaire (Foto: Carola Lentz)15 Uhr - Einweihung des Denkmals für das Cinquantenaire und des Denkmals am Place de la Nation; und schließlich noch um 16 Uhr - Eröffnung der "Cité des Forces Vives", ein auch "Bobo 2010" genannter neuer Stadtteil, der anlässlich des Cinquantenaire in einer Public-Private-Partnership aus dem Boden gestampft wurde.

Einweihung des Cinquantenaire-Denkmals durch Premierminister Tertius Zongo (Foto: Svenja Haberecht)Premierminister Tertius Zongo war Schirmherr und zeremonieller "Band-Durchschneider" für alle Eröffnungen und eilte mit seiner Cortège von Festakt zu Festakt. Die Eröffnungsreden wurden dann von einer ganzen Riege unterschiedlicher Minister gehalten, in deren fachliche Domäne das zu eröffnende Bauwerk fiel. Ich hatte schon öfters scherzen gehört, Burkina Faso sei "das Preußen Westafrikas", aber der Einweihungsmarathon am Donnerstag untermauerte diese Behauptung tatsächlich eindrucksvoll. Mit großer Zeitdisziplin begann jede Einweihung wirklich auf die Minute pünktlich; das Protokoll war bis ins letzte durchgeprobt; die Vertreter des "Volkes" (Mitarbeiter des Flughafens, Marktfrauenvereinigungen, Verwaltungsangestellte usw.) saßen oder standen rechtzeitig auf ihren Plätzen, um die Politiker zu empfangen; alle Mikrofone und Lautsprecher funktionierten ausgezeichnet, so dass bis in den letzten Winkel der Plätze die Ansprachen und das musikalische Begleitprogramm gut zu hören waren; alle Redner fassten sich kurz, und die gesamte Zeremonie dauerte jeweils nicht länger als eine knappe halbe Stunde. Die Reden lobten die Errungenschaften, die das Land in den letzten Dekaden auf dem jeweiligen Gebiet – Flug- und Eisenbahnverkehr, Obst- und Gemüsehandel usw. – bereits erreicht hätte und forderten dazu auf, durch gemeinsame Anstrengung die Entwicklung eines modernen Burkina weiter voranzutreiben und dafür zu sorgen, dass die neue Infrastruktur auch instand gehalten würde und dem allgemeinen Wohl diene. Subtext war oft auch, dass die Einwohner Bobo-Dioulassos, die sich seit jeher von der Regierung in Ouagadougou vernachlässigt fühlen, doch bitte anerkennen mögen, dass Compaoré und seine Mannschaft sich hier nun wirklich sehr für sie angestrengt und sie selbst somit allen Grund zur Dankbarkeit hätten (die Finanzierung aller Maßnahmen kam meist nur zu einem kleinen Teil aus der Kommune Bobo-Dioulasso und der Provinz Houet, zum größeren Teil aus zentralen Regierungsfonds).

Besonders interessant war die Einweihung des Cinquantenaire-Denkmals am Ende des großen Boulevard de la Nation. Grundsteinlegung war zwar schon im März 2010 anlässlich der offiziellen Eröffnung der Cinquantenaire-Feiern, aber bis August war eigentlich wenig geschehen und viele hatten bezweifelt, dass das Denkmal rechtzeitig fertiggestellt werden könnte. Aber mit Nachtschichten und viel Ehrgeiz ist es nun doch noch gelungen, auch wenn die vorgesehen Begrünung noch teilweise in Pflanzcontainern stand und der eine oder andere Sandhaufen in der Umgebung nicht weggekehrt war. Doch das Wasserspiel funktionierte schon und der 30 Meter hohe Bau ist durchaus beeindruckend. Um allen Besuchern die ausgefeilte Symbolik auch ganz präzise zu vermitteln, die mit ihren Fischen, Hengsten, Termitenhügeln und Pfeilern lokale Ikonographien aus allen Landesteilen aufnimmt, wird das Bildprogramm auf einer spiegelnden Marmortafel erläutert − in der sich der Betrachter dann auch gleich noch selbst sieht und somit direkt angesprochen fühlen soll. Die Rede des Ministers für Bauwesen und Urbanismus führte auch genau das in seiner Rede aus. Die Mischung von Traditionsbewusstsein und Modernisierungsversprechen, die das Motto der Unabhängigkeitsfeiern "50 ans de construction d'une nation: souvenir et espérance" - "50 Jahre Konstruktion einer Nation: Erinnerung und Hoffnung" formuliert, sollte hier in Stein und Bronze gemeißelt und gegossen werden.

Premierminister Tertius Zongo (Mitte) auf der Ehrentribüne (Foto: Carola Lentz)  Rede des Ministers für Bauwesen und Urbanismus (Foto: Carola Lentz)

In Auszügen lautet der lange Erklärungstext, für dessen Entzifferung man gut und gern zehn Minuten braucht, wie folgt: "Das Denkmal soll symbolisch und materiell das große Ereignis markieren, das ganz Burkina mobilisiert und in der Hauptstadt Sya [Bobo Dioulasso] versammelt: das Cinquantenaire von Burkina Faso. Die nationale ökonomische und kulturelle Unabhängigkeit von Burkina im Jahr 1960 ist das Ergebnis eines unermüdlichen Kampfs, geprägt durch den Geist des Zusammenhalts eines Volks, das sich stets realisieren und bestätigen wollte. Das Denkmal ist ein Werk der modernen Kunst, funktional und zugleich tief von der Tradition inspiriert, was sich in fünf Aspekten ausdrückt:

1. Der Sockel:
Die vier Pfeiler stehen für die Menschen, die aus allen vier Himmelsrichtungen des Landes gekommen sind und gekämpft haben, um uns die Unabhängigkeit zu schenken. Sie stellen wahrhafte Erinnerungssäulen für ihre historischen Opfer dar. Die fünf Ringe repräsentieren fünf Jahrzehnte gemeinsamen Aufbaus. Sie bilden einen Kreis, der die vier Pfeiler vereint. Die Ringe verbinden die Menschen […], was die nationale Einheit in soziokultureller Vielfalt zeigt.

2. Die Obelisken:
Die Idee des Termitenhügels. Seit undenkbarer Zeit hat die Ästhetik der Termitenhügel die Menschen inspiriert. Diese von sozialen wehrhaften Insekten, wahren Ingenieuren und Baumeistern, errichteten Hügel sind die Frucht einer Gesellschaft, die zusammenhält und ehrgeizig ist. Der Geist der Termitenhügel erinnert daran, dass jeder Burkinabé seinen Platz in der Gesellschaft hat und auf die eine oder andere Weise zur Entwicklung beiträgt. Ein lebendiger Termitenhügel wächst Stück um Stück.

Die Idee des "Histogramms". Die zweite Lesart des Denkmals ist die eines Histogramms, das die tagtägliche Entwicklung Burkinas repräsentiert, eines Landes, das dabei ist […], sich die Höhe der Zeit mit all ihren modernen Technologien zu erobern […] es ist die Symbolik der Hoffnung und des Aufwachens ('l'espérance et l'émergence').

3. Die Pferde [Symbol der kriegerischen Fähigkeiten der Mossi-Herrscher, C.L.]:
Die vier Pferde zeigen die Richtung an, die das Land verfolgen muss, und begleiten die Entschlossenheit des Volks, sich neue Himmel zu erobern, Symbole der Hoffnung.

4. Die Fische von Dafra [ein traditionelles heiliges Wappentier der alteingesessenen Bobo, C.L.]:
Die 50 Fische, die dicht an dicht Wache halten, stellen die Werte der Ahnen dar […]. Sie schützen alle Söhne des Landes und singen das Loblied auf die 50 Jahre unseres Landes. Ein Burkina der Schönheit von 50 Jahren und für die Ewigkeit.

5. Der Wasserfall:
Symbol des Lebens: Das Wasserspiel verleiht dem Denkmal Lebendigkeit; es ist die unentbehrliche lebendige Kraft, die die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet und die Aufmerksamkeit auf die Zukunft richtet, [das Motto] 'Erinnerung und Hoffnung'."

Die symbolischen Pferde und Fische von Dafra (Foto: Carola Lentz)  Erklärungstafel am Cinquantenaire-Denkmal (Foto: Carola Lentz)  Widmung des Cinquantenaire-Denkmals (Foto: Carola Lentz)

Die Besichtigung des Denkmals durch die Regierungsvertreter aus Ouagadougou und Bobo-Dioulasso wurde übrigens von traditioneller Musik einer Gruppe aus Bobo begleitet, deren Sängerin einen Preisgesang anstimmte: "Wie groß auch immer ein Haus sein möge, wenn es uneinig ist, wird es das eines Tages bereuen. […] Wir grüßen die Verantwortlichen des Landes, wir danken den Noblen des Landes. Guten Abend Afrika, Afrika guten Abend. Seit einigen Jahren gibt Gott uns sehr viel! Einwohner Bobo-Dioulassos, erhebt Euch, um Euch die Hand zu reichen und dieses Fest zu feiern…" Diese Strophe des langen Gesangs konnte, wer wollte, als Anspielung auf die schon erwähnten lange Zeit angespannten Beziehungen zwischen Bobo und Ouagadougou verstehen. Ob der Premierminister und andere Besucher aus Ouagadougou allerdings das in Dyula gesungene Lied überhaupt verstanden haben, sei dahingestellt. Ansonsten fingen einige Mitglieder der lokalen Regierungsdelegationen gleich an, sich gegenseitig vor der Erklärungstafel und den Pferden zur Erinnerung an das Cinquantenaire zu fotografieren. Es bleibt abzuwarten, wie das Denkmal von der breiteren Bevölkerung aufgenommen wird.

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 15.12.2010
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