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Jubiläum ohne Jubel: Die meisten Gabuner bleiben zu Hause

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Eintrag vom 17. August 2010
Christine Fricke

 

Feierlaune lässt sich nicht erzwingen: Das musste wohl auch die Regierung Gabuns einsehen, die noch wenige Tage vor dem Jubiläum die Bevölkerung aufgefordert hatte, den 50. Jahrestag der Unabhängigkeit in aller Gelassenheit, aber auch mit Jubel zu feiern. Immerhin, so die Regierung, handele es sich um einen wichtigen republikanischen Feiertag. Auch die Unterstützung der Medien, die zuvor permanent für das Cinquantenaire mit Schlagzeilen wie "Eine Feier für alle" oder "Der 17. August in inbrünstiger Freude"1 geworben hatten, half letztlich wenig. Die meisten Gabuner blieben einfach zu Hause, wohl wissend, dass der Großteil des Programms hinter geschlossenen Türen stattfinden würde.

'50 ans d'historie', Foto: Christine Fricke

Ein Journalist der regierungsnahen Zeitung Gabon Matin kommentierte die leeren Foto- und Bücherausstellungen im Senat und der Nationalversammlung folgendermaßen: "Der 'homo gabonicus', bevorzugt eine Feierkultur, die sich durch Tanzen, Essen und Trinken auszeichnet. Er ist bereit, jegliche Kultur des Wissens, die sich durch Oralität oder Bücher manifestiert, in den Mülleimer der Geschichte zu werfen".2  Das Problem scheint jedoch weniger das Desinteresse der Bevölkerung, sondern vielmehr ein Mangel an Kommunikation zwischen Organisatoren und Bevölkerung gewesen zu sein. Das offizielle Programm wurde zwar in den Zeitungen veröffentlicht, war jedoch zum Teil mit falschen Daten versehen oder es fehlten genauere Ortsangaben. Einige Programmpunkte wie der Marathon wurden nicht im gedruckten Programm erwähnt; andere angekündigte Events wie etwa der Kulturabend dagegen fanden nicht statt; im Fernsehen und Radio wurden immer nur Teile des Programms zitiert. Selbst für interessierte Bürger war es darum nicht leicht, den verschiedenen Ereignissen und Aktivitäten zu folgen.

Außerdem fühlen sich die meisten Gabuner nur bei Ereignissen, die auf der Straße stattfinden, wirklich willkommen oder zumindest geduldet. Ministerien oder Gebäude wie der Senat sind Orte der politischen Macht, zu denen der Zugang exklusiv gehandhabt wird. Wer ohne Insignien der Macht und Wichtigkeit auftritt, hat es normalerweise schwer, unbehelligt an den Militärs am Eingang vorbeizukommen. Hinein kann nur, wer mit Limousine oder Geländewagen vorfährt, einen schwarzen Anzug trägt und einen VIP-Ausweis für das Cinquantenaire vorzeigen kann, von weiteren Personen begleitet wird, sich schnell und zielgerichtet bewegt und keinen Zweifel daran lässt, dass er sich im Gebäude auskennt. Es ist also nicht verwunderlich, dass viele Gabuner auch am Nationalfeiertag einen weiten Bogen um alle "Indoor"-Veranstaltungen machten. Aber auch bei Veranstaltungen unter freiem Himmel fanden sich viele Besucher ausgeschlossen: Bei den Cocktail-Abenden in den verschiedenen Stadtvierteln, die mit jeweils ca. 22.000 Euro finanziert wurden und explizit allen Bürgern offen stehen sollten, blieb vielen der Zugang verwehrt. "Wir können nicht die ganze Welt rein lassen", so die Verantwortlichen laut Gabon Matin, "sonst riskieren wir Gedränge und Geschubse, und das ist nicht sehr elegant vor den anwesenden Persönlichkeiten".3

 Fahnenverkäufer, Foto: Christine Fricke

 Patrioten, Foto: Christine Fricke

 Verkleidet als Französinnen, Foto: Christine Fricke

Eine nur mäßige Teilnahme der Bevölkerung ließ sich auch beim Karneval, der allerdings vor allem für die Ehrentribüne inszeniert wurde, sowie beim Fußballspiel und beim Konzert feststellen. Gut besucht waren dagegen das halbstündige Feuerwerk am Abend des 16. August und die Militärparade am nächsten Morgen - Ereignisse, an denen auch elf afrikanische Staatschefs sowie der Präsident der Afrikanischen Union teilnahmen. Der Einladung des gabunischen Präsidenten, die afrikanischen Gäste sollten auch Militärdelegationen ihrer Länder in Libreville marschieren lassen, ähnlich wie am 14. Juli in Paris), folgte jedoch nur das senegalesische Militär. Die französische Armee, die seit 1960 in Libreville stationiert ist, zögerte dagegen nicht, am Unabhängigkeits-Défilée teilzunehmen. Die ehemalige Kolonialmacht war ansonsten durch Gérard Larcher repräsentiert, den Präsidenten des französischen Senats. Dass die "Nummer Zwei" Frankreichs anreiste, hoben die gabunischen Medien als Beweis der engen franco-gabunischen Beziehungen hervor - trotz aller Kritik an der verlängerten Militärkooperation zwischen Frankreich und Gabun. Allerdings stammt der gesamte Fuhrpark des gabunischen Militärs von deutschen Firmen. Die Militärparade endete schließlich mit einer Fahrt des Präsidentenpaares im offenen Wagen zum Präsidentenpalast. Dieser seltene Anblick löste dann doch noch einen verhaltenen Jubel sowie vereinzelte "Ali"-Rufe aus.

 Französische Armee, Foto: Christine Fricke

 Deutscher Fuhrpark, Foto: Thomas Bierschenk

 Präsidentenpaar, Foto: Christine Fricke

Während nun langsam wieder der Alltag in der Hauptstadt einkehrt, bleiben einige Attraktionen noch bis Dezember geöffnet. Neben der eher fragwürdigen Kino-Kuppel, in der im 10-Minuten-Takt der immer gleiche Werbefilm für Land und Präsident läuft, ist vor allem die multimediale Ausstellung "Gabon, ma terre, mon futur" (Gabun, meine Heimat, meine Zukunft) hervorzuheben. Diese Ausstellung ist Naturkunde-, Geschichts-, und Kunstmuseum in einem und ersetzt gewissermaßen das fehlende Nationalmuseum. Ganz im Gegensatz zur von den Medien attestierten Kultur-Apathie findet das Konzept von "Gabon, ma terre, mon futur" bei den Librevillern Lob und Zuspruch. Die Ausstellung will ein neues Nationalgefühl unterstützen. Nur wer sein Land liebt, so die Botschaft der Première Dame, die diese Ausstellung initiiert hat, kann sein kulturelles Erbe bewahren und als Ressource für eine bessere Zukunft nutzen.

 

Ausstellung mit 20 Leuten, Foto: Christine Fricke

Theater mbombè, Foto: Christine Fricke

Mit dieser Absicht werden auch zeitgenössische Kunst und Kultur gefördert. In einer Ausstellungshalle wird Kunsthandwerkern die Möglichkeit geboten, ihre Arbeiten zu präsentieren und zu verkaufen. Darstellende Künstler bekommen auf einer zusätzlichen Bühne die Möglichkeit, mit Theaterstücken, Ballett und anderen Aufführungen an vergessene Helden und Aspekte der gabunischen Kultur zu erinnern, die bisher aus der offiziellen Darstellung ausgeklammert blieben. In einer der letzten Ausstellungshallen lädt schließlich ein "Wunschbaum" die Besucher dazu ein, ihre persönlichen Wünsche für das Gabun der nächsten 50 Jahre auf Zettel zu schreiben und an die Äste zu kleben. Und im Forum der staatlichen Jubiläums-Homepage hat eine "Patriotin" folgende Nachricht hinterlassen: "So weit ich mich erinnere, ist dies das erste Mal, dass eine offizielle Internetseite der Regierung es den Usern erlaubt zu reagieren… Bislang wurde jegliche Kritik, auch konstruktive, immer zensiert".4 Die 50-Jahrfeier der Unabhängigkeit hat also tatsächlich auch neue Hoffnungen für die nächsten 50 Jahre geweckt.

Gabun auf der Brust, Foto: Christine Fricke

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1 "L’Union" vom 13. August und 14. August 2010.

2 Mbadinga, Louis-Philippe (2010): Un rendez-vous manqué par les populations, in: Gabon Matin, No. 378, 21. & 22. August 2010, S. 4
3 Okassa, Zita Sonia (2010): La liesse populaire, in: Gabon Matin, No.377, 20. August 2010, S. 6
4 "Patriote" 16. August 2010, Forumeintrag auf http://www.gabon50ans.ga/article/gabon-quel-bilan-apres-50ans-d zuletzt am 23. August 2010

 
Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 30.11.2010
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