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50 Jahre (Un)Abhängigkeit - was bleibt?

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Eintrag vom 26. November 2010
Christine Fricke

 

Drei Monate nach den Jubiläumsfeiern hat sich das Leben der meisten Gabuner scheinbar wieder normalisiert und der Alltag hat sich eingeschlichen. Die Plakate mit den Präsidenten entlang der großen Boulevards sind genau wie die neuen Denkmäler in der Stadt längst Teil der alltäglichen Straßenkulisse geworden. Die Medien haben sich anderen Themen zugewendet: Der Schulanfang und eine Bilanz des ersten, insgesamt recht erfolgreichen Amtsjahrs Ali Ben Bongos stehen momentan im Vordergrund.

Was also bleibt vom Mega-Event, das die ganze Nation in Atem gehalten hat? Es ist zum einen sicher die Besinnung und der Stolz auf die spezifischen Eigenheiten der gabunischen Identität, die während des Jubiläums im Vordergrund standen und auch nach Ende der Feierlichkeiten zum "identity-branding" beitragen. Die neue Identität bzw. der neue Nationalstolz, der auch von der Politik herbeigewünscht wird, verlangt eine stärkere Identifikation mit der Kultur Gabuns. Denkmal zur Befreiung aus der Sklaverei, Foto: Christine FrickeDie Förderung von Kunst und Kultur und der Schutz des kulturellen Erbes sind daher mehr denn je Gesprächsthema und werden als wesentlicher Bestandteil für den Aufschwung des Landes betrachtet.

Vor allem der große Erfolg der Ausstellung "Gabon. Ma Terre. Mon Futur" hat hierzu beigetragen. Mehr als 15.000 Besucher wurden bisher gezählt. Die Ausstellung wurde nun noch bis Ende 2010 verlängert, um auch den verschiedensten Schulklassen einen Besuch zu ermöglichen. Ungeklärt bleibt jedoch weiterhin, was mit dem Museum in Zukunft geschehen soll. Gerade weil es kein Nationalmuseum gibt, sind viele Besucher der Meinung, dass die Ausstellung dauerhaft bestehen bleiben sollte. Schließlich wirft die afrikanische Fußballmeisterschaft, die Anfang 2012 in Gabun und dem Nachbarland Äquatorialguinea stattfinden wird, bereits ihren Schatten voraus. Die Ausstellung, so argumentieren viele, wird auch ein zentraler Anziehungspunkt für die insgesamt 80.000 erwarteten Fußballtouristen sein.

Die Besinnung auf die eigene Identität lässt jedoch viele historische Aspekte unbeachtet. Insbesondere die Debatten über die vom offiziellen Narrativ der Nation vergessenen Helden ist hier aufschlussreich. Offiziell erinnert wird an die drei Präsidenten sowie die "Väter der Unabhängigkeit", die vor und kurz nach 1960 die Politik des Landes bestimmten. Die Übergangspräsidentin Rose-Francine Rogombé, die 2009 nach dem Tod Omar Bongos für die friedliche Organisation der Wahlen sorgte und das Land bei internationalen Gipfeln vertrat, wird dagegen aus dem offiziellen Narrativ ausgeklammert. Das wurde von den verschiedensten Tageszeitungen, aber auch "auf der Straße" immer wieder kritisiert. Während sich dies mit der Unterscheidung zwischen gewählten und ernannten Präsidenten erklären lässt, scheint das Vergessen, das die Jahre zwischen 1967 und 2009 betrifft, viel frappierender. Martine Oulabou etwa, eine junge Lehrerin und Verfechterin der Demokratie, kam bei einer friedlichen Demonstration durch eine Polizeikugel ums Leben und gab damit den Anstoß für weitere Demonstrationen, die schließlich zur Nationalkonferenz 1990 führten. Sie bleibt ebenso unerwähnt wie die Jahre der Einheitspartei und andere Märtyrer und Helden des Alltags, die das Land mit aufgebaut haben. Die Pflicht der Erinnerung dagegen, die während des Cinquantenaire immer wieder betont wurde, bezieht sich v.a. auf die ökonomischen Errungenschaften.

Die neue nationale Identität verlangt also auch einen Bruch mit der Vergangenheit und stattdessen einen Blick nach vorne, wie Ali Bongo Ondimba in seiner Rede an die Nation deutlich gemacht hat. Er sprach von einem Geisteswandel, von einem notwendigen Bruch, dem Ende der Resignation und davon, dass die Gabuner ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen müssen. "La faute du colonisateur, c'est fini! La faute de l'autre, c'est fini!" (Die Schuld der Kolonialherren ist beendet, die Schuld des Anderen ist beendet).

Alles außer TOTAL, Foto: Christine FrickeEinen Bruch mit der kolonialen Vergangenheit, einen Neuanfang, das wünschen sich in der Tat viele Gabuner, wie auch die aktuelle Debatte um die Scheinunabhängigkeit Gabuns zeigt. Die Entscheidung der französischen Justiz, aufgrund eines Berichts von Transparency International gegen den verstorbenen Präsidenten Omar Bongo zu ermitteln, ist auf großen Protest der Gabuner gestoßen. Auch wenn die Ermittlungen Besitztümern auf französischem Boden gelten, die mit Staatsgeldern erworben wurden, so die kritischen Kommentare, bleibe die Untersuchung doch eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes und sei daher eine Missachtung der Souveränität Gabuns. Die Organisation "Mouvement Génération Omar Bongo Ondimba" hat deshalb zum Boykott der französischen Öl-Firma TOTAL aufgerufen und die während des JubiläumBoykott TOTAL am Zaun des Außenministeriums, Foto: Christine Frickes begonnene Diskussion um die franco-gabunischen Beziehungen erneut angefacht. Die politische, ökonomische und insbesondere militärische Präsenz Frankreichs ist daher erneut Thema unterschiedlicher Talk-Shows. Ein Bruch mit der Geschichte wird also auch von Frankreich gefordert.

Der Blick auf die Unabhängigkeitsfeiern verdeutlicht jedoch, dass dieser Bruch - wenn überhaupt - nur partiell sein kann. Trotz der Notwendigkeit, nach vorne zu schauen, hat Präsident Bongo in seiner Ansprache auch betont, dass Frankreich aufgrund "traditioneller und historischer Nähe" wichtigster Partner bleibt. "Gabun kann sich nur über die Beispielhaftigkeit dieser Kooperation freuen". Diese Kooperation zwischen Frankreich und Gabun - und hier spannt sich der Bogen zurück zur Besinnung auf das eigene kulturelle Erbe - schlägt sich auch in der Auswahl der kolonialen Nationalhelden nieder. Erinnert wird eben nicht an die Widerstandskämpfer Mbombè, Wongo, Emane Ntole oder Mavouroulou, die im Kampf gegen die Kolonialisierung ihr Leben verloren haben. Erinnert wird an Antchouè-Kowè-Rapontchombo, König Denis, der am 9. Februar 1839 den ersten "Vertrag" mit Frankreich abschloss und das Land für die Kolonialisierung öffnete. 

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 02.12.2010
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