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Interview mit dem ehemaligen Präsidenten Dahomeys

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Eintrag vom 21. August 2010
Maximilian Mauer

 

Émile Derlin Zinsou, der ehemalige Präsident Dahomeys, Foto: Victor ChagasGegen Ende unserer Feldforschung ergab sich die Möglichkeit, mit dem 92-jährigen Émile Derlin Zinsou, dem ehemaligen Präsidenten Dahomeys zu sprechen. Trotz seiner relativ kurzen Amtszeit von Juli 1968 bis Dezember 1969 gehört Zinsou heute zu den meistgefragten und -geschätzten Gesprächspartnern Benins. Neben Mathieu Kérékou und Nicéphore Soglo ist er der einzige noch lebende Ex-Präsident Dahomeys bzw. Benins.

Zinsou empfängt uns in seinem Haus. Herausgeputzt und voller Ehrfurcht klingeln wir. Die Haushälterin öffnet die Tür und geleitet uns in das Wohnzimmer, wo Zinsou – in einem lockeren Boubou gekleidet – bereits auf einer Couch Platz genommen hat. Der Raum ist von einer angenehmen Atmosphäre erfüllt und Präsident Zinsou erleichtert uns den Einstieg in das Gespräch mit einem entwaffnenden und herzlichen Lächeln. Im Folgenden möchten wir einige Auszüge aus unserem längeren Gespräch wiedergeben.

Mit Émile Derlin Zinsou, Foto: Victor ChagasMauer: Herr Präsident (nach französischer Sitte wird diese Anrede in Benin auch für ehemalige Präsidenten verwendet), glauben Sie, dass ein beninisches Nationalgefühl existiert und wenn ja, wo sind dessen Wurzeln?
Zinsou: Das beninische Nationalgefühl existiert. Es ist das Resultat der Kolonisierung unseres Landes. Das beninische Nationalgefühl ist nicht historisch gewachsen, sondern ein künstliches Produkt der französischen Kolonialherrschaft. Man muss bei der Suche nach seinen Wurzeln in die Zeit der Kolonialherrschaft zurückgehen. Auch wenn ein Nationalgefühl existiert, ist es bei Weitem nicht immer stabil - erst recht nicht in der Politik, die von einem starken Regionalismus durchsetzt ist. Dennoch muss man sagen, dass sich die beninische Nation relativ schnell etabliert hat und heute soweit gediehen ist, dass im Falle einer Aggression gegen unser Land alle Beniner zusammenstehen würden, um ihr Vaterland zu verteidigen. Ein Vaterland, das gerade einmal seit einem Jahrhundert besteht. Das ist beachtlich. Um zum Punkt zu kommen: Das beninische Nationalgefühl existiert, wenn auch noch nicht in sehr konstanter Form, aber es existiert. Dennoch denke ich persönlich, dass sich Benin mehr als Staat denn als Nation begreift.

Mauer: Wollen Sie damit sagen, dass der beninische Staat erst die beninische Nation schafft?
Zinsou: Ja, so ist es!

Mauer: Denken Sie, dass in Zeiten der Globalisierung die beninische Identität gefährdet ist? Oder ergeben sich dadurch eher neue Möglichkeiten?
Zinsou: Ich denke, dass unsere Identität in Gefahr ist. Benin ist ein kleines Land, in dem viele verschiedene Sprachen und Religionen existieren. Es hat den Anschein, als bestünde Benin aus vielen kleinen Ländern. Wenn wir ein größeres Land wären mit einer einheitlichen Sprache, einer einenden und nicht teilenden Politik und lediglich einer oder zwei großen Religionen, würde das mehr zur Identitätsstiftung beitragen als die vorhandene Heterogenität. […] Und eine weitere Tatsache gefährdet unsere Identität: Die Kolonisierung hat uns beigebracht, Frankreich und somit die Weißen zu kopieren. Dadurch empfinden wir uns heute noch teilweise als minderwertig und denken, dass alles, was aus Europa kommt, besser ist. Auf ökonomische Faktoren mag das zutreffen, aber in Bezug auf unsere Geschichte und unsere Spiritualität ist diese Einstellung eine Gefahr. Geschichte und Spiritualität sind integraler Bestandteil unserer Identität und drohen, verloren zu gehen. […] Im Zuge der Globalisierung kommt es vor, dass Beniner Paris kennen, aber noch nie in Parakou, der viertgrößten Stadt Benins, waren! In all diesen Zusammenhängen ist die Globalisierung für unsere Identität eine Gefahr, ja.

Mauer: Benin hat seit der Unabhängigkeit einen einzigartigen Weg der Demokratisierung beschritten, ohne jemals Konflikte zu erfahren, wie sie in zahlreichen anderen afrikanischen Ländern entstanden sind. Denken Sie, dass es eine "typisch beninische" Eigenschaft gibt, die dies ermöglicht hat?
Zinsou: Diese Frage ist schwierig. […] Wir haben einen glücklichen Umstand in unserem Land, der aber zugleich auch ein Hindernis darstellt: Es gibt mehrere Religionen und Ethnien. Diese Tatsache zwang uns immer wieder, einen gemeinsamen Frieden auszuhandeln. Es ist wundervoll, dass uns das bis heute gelungen ist, und ich hoffe, dass es immer so bleiben wird. […] Im Allgemeinen sind wir ein gewaltfreies Land. Wir streiten uns verbal - zum Teil sehr heftig - in Zeitungen und im Fernsehen, aber wir würden nie gewalttätig werden. Und jemanden zu töten, ist für uns vollkommen abwegig, der gewaltsame Konflikt liegt nicht in unserem Naturell. Das ist keine besonders genaue Erklärung, aber es ist, denke ich, zutreffend. Beniner sind Menschen, die das friedliche Zusammenleben und das gegenseitige Verständnis besonders wertschätzen. Auch wenn es immer wieder Dissonanzen gibt, enden diese niemals in gewaltsamen Auseinandersetzungen. Das ist, was Benin vielleicht besonders auszeichnet und was dafür verantwortlich ist, dass wir bis heute ein Hort der Sicherheit sind. […]

Mauer: Sie haben im Verlauf dieses Interviews gesagt, dass der beninische Staat weiter entwickelt sei als die beninische Nation. Hoffen Sie, dass die Nation in Zukunft "nachziehen" wird?
Zinsou: Mit Sicherheit, mit Sicherheit!

Mauer: Herr Präsident, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 01.09.2010
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