zur BENIN-Projektseite
zum Haupteintrag zum 1. August
"Béninoises, Béninois, chers compatriotes" - "Beninerinnen, Beniner, geliebte Landsleute" -- Mit diesen Worten eröffnete Boni Yayi, Präsident der Republik Bénin, am 31. Juli 2010 seine Rede an die Nation und die Feier zum Cinquantenaire der Unabhängigkeit. Auf dem Platz der Republik, dem ehemaligen Platz der französischen Gouverneure, hatte sich ein buntes Publikum aus ehemaligen Ministern, aktueller Regierung, beninischen Königen und deren Hofstaat, Militärs, Offiziellen aus der lokalen und nationalen Verwaltung, internationalen Gästen und dem "einfachen" Volk versammelt, um den Staatschef sprechen zu hören. Der Platz war sicherlich eine gute Wahl für eine Rede an die Nation anlässlich der Feier der Unabhängigkeit, hatte doch auch Hubert Maga, erster Präsident der Republik Dahomey, am selben Ort direkt vor dem Parlament, der Assemblée Nationale, im Jahr 1960 die Unabhängigkeit des Benin erklärt. Auch das Denkmal für die Toten - das Monument aux morts - steht hier. Wer allerdings an diesem 31. Juli 2010 von Boni Yayi eine ähnlich spektakuläre Rede erwartete, wie Maga sie 1960 hielt, wurde enttäuscht. Statt einem Paukenschlag gab es ruhigen Optimismus, wenig (Selbst-)Kritik und höchstens die eine oder andere vorsichtige Ermahnung.
In seiner live im staatlichen Fernsehen und im Radio übertragenen Rede zog der Präsident eine Bilanz der letzten 50 Jahre beninischer Geschichte. Er erinnerte an die ersten Präsidenten Hubert Maga, Sourou Migan Apithy und Justin Tomètin Ahomadegbe als Gründerväter der Unabhängigkeit und pries seine Vorgänger Emile Derlin Zinsou, Mathieu Kerekou und Nicéphoro Dieudonné Soglo als aufopfernde Diener der Republik. Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums rief er zu einem Moment der Selbstbeobachtung und zu einem kritischen Blick in die Zukunft auf. Die letzten 5 Jahrzehnte seien eine Zeit der Gesundung Benins (Dahomeys) gewesen, das sich vom "kranken Kind Afrikas" zu einer funktionierenden und stabilen Demokratie entfaltet hätte, besonders durch die Nationalkonferenz - la Conférence Nationale - im Jahr 1990. Auch wirtschaftlich habe sich Benin seit der Unabhängigkeit zwar langsam, aber doch stetig weiterentwickelt. Trotz allem seien die ersten 50 Jahre Benins v.a. von Politik und weniger von Entwicklung - "plus de politique et moins de développement" - gekennzeichnet gewesen. Daher sei "die Armut der einzige gemeinsame Feind". Die nächsten 50 Jahre müssten deswegen von weniger Politik und mehr Entwicklung - "moins de politique et plus de développement" - geprägt sein. Das Fehlen von Nächstenliebe, der Egoismus und die Suche nach dem leichten Gewinn - "absence de l'amour pour l'autre, l'égoїsme et la recherche du gain facile" - führe zu Korruption und schlechter Regierungsführung. Das müsse bekämpft werden. Seine Regierung wolle sich außerdem des Hyperpluralismus annehmen, der übermäßigen Parteienvielfalt, der die Demokratie gefährde und immer öfter das politische System blockiere.
Auch die zwei großen Probleme während seiner eigenen Regierungszeit, die korrekte Erstellung der computergestützten Wählerlisten (LÉPI, Liste électorale permanente informatisée) und den ICC-Skandal, sprach Boni Yayi an. Der ICC-Skandal (Investment Consultancy and Computering Services) erschüttert seit einigen Wochen das Land. Es handelt sich dabei um Mittel in Millionenhöhe, die Regierungsvertreter veruntreut haben, darunter auch der inzwischen entlassene und inhaftierte Innenminister. Die veruntreuten Gelder gehören Privatpersonen, die in ein von der Regierung unterstütztes Programm investiert hatten, das vor wenigen Wochen Bankrott anmelden musste. Von den investierten Geldern wird voraussichtlich wenig oder gar nichts an die Investoren zurückgezahlt werden können. Mehrere tausend Bürger sind betroffen und zeigen ihre Empörung offen. Ihr Protest und die ausführliche Berichterstattung in sämtlichen Medien setzt die beninische Regierung v.a. hinsichtlich der Präsidentschaftswahlen 2011 unter großen Druck, die Krise schnell und vollständig aufzuklären.
Hatte man von Boni Yayis Rede nun allerdings eine ausführliche Erklärung zu diesem Thema erwartet, wurde man enttäuscht: Der Präsident erwähnte das Problem nur indirekt, gegen Ende seiner Rede, ohne den Namen ICC zu nennen. Aber er drückte seine Solidarität gegenüber den betroffenen Mitbürgern aus, die von dem gigantischen Schwindel - "gigantesque escroquerie" - hinters Licht geführt worden seien. Yayi versprach, neue Gesetze gegen Korruption zu erarbeiten und der Nationalversammlung vorzulegen, um den Kampf gegen Korruption voranzubringen. Hatte die Rede bei den Zuhörern vor Ort bisher wenig Begeisterung ausgelöst, bemerkte man nun erstmals starkes Interesse und kräftigen Applaus. Vor allem eine Gruppe, die hauptsächlich aus Frauen bestand, jubelte dem Präsidenten bei diesem Teil der Rede und auch danach zu. Sie gehörten anscheinend zu den Nutznießerinnen des staatlichen Mikrokreditprogramms, die extra eingeladen worden waren.
Seine Rede schloss der Präsident wenige Momente später mit guten Wünschen an alle Mitbürger Benins: "Bonne fête de l'indépendance à chacun et tous! Vive la République! Et que Dieu bénisse le Bénin!" - "Ein schönes Unabhängigkeitsfest für alle! Es lebe die Republik! Möge Gotte Benin segnen!"
Den restlichen Tag hielten die verschiedenen Glaubensgemeinschaften Benins anlässlich der Jubiläumsfeier in Porto-Novo Gottesdienste ab. Minister und Offizielle nahmen daran je nach Religionszugehörigkeit teil. Hier konnten wir übrigens zum ersten Mal das Phänomen beobachten, das uns auch während des 1. August gelegentlich aus dem Konzept bringen sollte: Das Präsidentenprotokoll beschloss kurzfristig und ohne öffentliche Ankündigung, das offizielle Programm zu ändern. So war der offizielle katholische Gottesdienst in der Kathedrale Notre Dame, bei dem auch der Präsident anwesend sein sollte, kurzfristig vor die Ansprache an die Nation verlegt worden. Daher war die Kathedrale leer, als wir zur ursprünglich angesetzten Zeit ankamen. Nur der protestantische Gottesdienst und der traditionelle Kult des Vodoun fanden wie geplant statt und konnten von uns verfolgt werden.
Am Abend setzte sich dann das offizielle Programm, diesmal ganz nach Plan, mit dem Fackelmarsch durch die Stadt fort. Eine Gruppe von etwa 50 Fackelträgern und Musikern marschierte singend, gefolgt von einem Einsatzwagen der Feuerwehr, von Ouando quer durch die Stadt bis hin zum Parlamentsgebäude. Überall blieben Menschen stehen, so dass sich der Verkehr staute. Die feuerspuckenden Fackelträger und ihre Kapelle zogen alle Aufmerksamkeit auf sich. Am Parlament angekommen, verließen wir den Marsch, der seinen Weg durch die Stadt nach kurzer Pause am Platz der Republik fortsetzte.
Auf dem Platz der Republik war inzwischen das für die Rede des Präsidenten aufgestellte Zelt verschwunden. Stattdessen hatte man auf der einen Seite des Platzes einen Boxring aufgebaut. Auf der anderen Seite stand bereits seit dem Vortag die Bühne für die "Nuit de l'Indépendance". Da das Konzert für die "Nacht der Unabhängigkeit" aber erst 2 Stunden später anfangen sollte, gesellten wir uns zu den Zuschauern am Boxring. Anlässlich des Cinquantenaire hatte man ein Amateurboxen der Frauen um den Unabhängigkeitspokal in den verschiedenen Gewichtsklassen organisiert. Als Europäer mit Kamera - "yovó avec caméra" - wurden wir bis kurz vor den Ring gelassen und konnten so alles aus nächster Nähe verfolgen. Diese sportliche Einlage ging rasch vorbei und wir stellten uns wieder zu den Feierlustigen, die auf den Beginn der "Nuit de l'Indépendance" warteten. Doch die Wartezeit dehnte sich um eine weitere Stunde aus, da die Technik der Live-TV-Übertragung nicht funktionierte. So blieb uns noch Zeit für eine Erfrischung am Getränkestand.
Entsprechend gestärkt kamen wir rechtzeitig zu Beginn des Konzerts um 23 Uhr auf den mittlerweile überfüllten Platz der Republik zurück. Doch schon wieder streikte die Technik – Tonprobleme diesmal. Deshalb begann das international besetzte Konzert, auf das ganz Porto-Novo gewartete hatte, zur großen Enttäuschung des Publikums sehr leise. Erst nach endlosen Minuten – die erste Gruppe hatte fast schon ihr komplettes Programm gespielt – setzte die Tontechnik ein. Obwohl die Technik noch einige Male streikte, kam langsam Feier- und Festivalstimmung auf. Als die extra angereisten chinesischen Tänzerinnen und Künstler auftraten, waren viele wirklich begeistert. Trotzdem schien uns, dass die Stimmung unter dem Siedepunkt blieb − vielleicht weil man, wie schon im Vorfeld kritisiert worden war, zum Konzert der "Nacht der Unabhängigkeit", das doch die Nation feiern sollte, internationale Künstler eingeladen hatte und keine Beniner. Dennoch zog sich die Musikveranstaltung bis tief in die Nacht und wir kamen erst sehr spät nach Hause - für wenige Stunden Schlaf, bis zum Morgen des 1. August. ...>