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Univ.-Prof. Dr. Carola Lentz
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'Greater Nigeria: culture our hope': ein Rundgang durch die Jubiläumsausstellungen in Abuja

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Eintrag vom 8. Oktober 2010
Carola Lentz und Christine Fricke


"A greater Nigeria: culture our hope" - dieses Motto prangt auf der Wand der Eingangshalle des National Museum in Abuja, in dem wir unseren Rundgang durch Foto- und Kunstausstellungen anlässlich von Nigeria@50 beginnen. Im Foyer grüßt die Besucher allerdings kein traditionelles "Kultur"-Objekt, sondern ein großes Porträt von Präsident Goodluck Jonathan, der aus einem in Form der Landkarte Nigerias geschnittenen Fenster schaut, flankiert von Fotos des Ministers für Tourismus, Kultur und nationale Orientierung sowie des Direktors der nationalen Museumskommission. Das erst im Jahr 2008 eröffnete Nationalmuseum birgt eigentlich nur wenige Schätze, die es offenbar aus diversen Museen der Bundesstaaten Nigerias zusammentragen musste. Im Vergleich zum Museum of National Unity in Ibadan (vgl. Vor-Ort-Bericht vom 4. Oktober) ist es geradezu ärmlich bestückt - ein interessanter Indikator für das Verhältnis von zentralen und regionalen Kulturinstitutionen. Außerdem musste das Museum seine wertvollsten Objekte an die Kultur- und Geschichtsausstellung im Velodrom Abujas ausleihen, die wir anschließend besuchen. Trotzdem lohnt sich der Einstieg mit dem Nationalmuseum, weil hier die Intention der meisten offiziellen Kultur- und Kunstpräsentationen besonders deutlich wird. Ethnische Diversität, so die Botschaft, ist Quelle kulturellen Reichtums, und friedlicher Austausch zwischen den Gruppen fördert die nationale Einheit. Wie im Museum of National Unity in Ibadan ist auch die Ausstellung in Abuja thematisch gegliedert, mit Objekten aus allen Regionen, um Ähnlichkeiten und Querverbindungen zu betonen.

National Museum Abuja (Foto: C. Lentz)  Greater Nigeria - Eingangswand (Foto: C. Lentz)  Greater Nigeria - Erklärungstafel (Foto: C. Lentz)

Auf einen Raum zu "Technologie" mit steinzeitlichem Werkzeug folgen "klassische Objekte" aus den alten Zivilisationen von Nok, Owo, Benin und anderen; an eine Abteilung zum Thema "Regierung", mit Masken und diversen Amtsstäben, schließen sich Räume zu "sozialer Kontrolle", "Religion und Unterhaltung" und schließlich "Wirtschaft" an. Die Logik der Zuordnung der diversen Objekte zu diesen Überschriften erschließt sich dem Besucher nicht immer, aber das übergeordnete Prinzip ist klar: Alle "Stämme" müssen ähnliche Herausforderungen bewältigen und haben letztlich gar nicht so unterschiedliche Techniken, soziale und politische Institutionen und religiöse Praktiken entwickelt.

National Cultural / Historical Exhibition - National Stadium - Abuja (Foto: C. Lentz)Die kulturelle Vielfalt Nigerias nicht als Ursache politischer Konflikte, sondern als Reichtum und Chance zu präsentieren, ist auch das Ziel der "Cultural and Historical Exhibition" im Velodrom, beim Nationalstadion - weit außerhalb vom Stadtzentrum, so dass wir auch hier, wie schon im Nationalmuseum, fast die einzigen Besucher sind. Welche technischen und finanziellen Herausforderungen der Aufbau dieser großen Kunstausstellung in einem sonst für Fahrradrennen und andere Sportveranstaltungen benutzten großen Zelt darstellte, erklärt uns Uwa Usen, Vorsitzender der Society of Nigerian Artists, der die Ausstellung kuratiert hat. Nur drei Monate Zeit habe er für alle Vorbereitungen gehabt, und ein Großteil des vom Nigeria@50-Planungskomitees zugewiesenen Geldes sei in den Bau von Podesten und Ausstellungswänden geflossen. Weil es in ganz Abuja keine große Ausstellungshalle für Kunst gebe, habe man sich mit dem Velodrom behelfen müssen. Aber Uwa Usen hofft, dass die große Schau mit Werken vieler nigerianischer Künstler, die noch bis Ende Oktober zu sehen sein wird, den Kulturpolitikern des Landes vor Augen führt, dass ein permanentes Forum für moderne Kunst dringend gebraucht wird.

Sein Ausstellungskonzept, so Uwa Usen, sehe vor, dass die Besucher zunächst das in der Mitte des Velodroms aufgebaute "Haus" betreten, in dem die "ancient Nigerian art traditions" zu bewundern sind - wertvolle Statuen, Plastiken und Zeremonial-Objekte der alten vorkolonialen Königreiche, auf die die Nigerianer sehr stolz sind. Einem europäischen Kurator würden die Haare zu Berge stehen, unter welchen Bedingungen hier Benin-Bronzen und Ife-Skulpturen ausgestellt werden, aber Uwa Usen meint, für die Sicherheit der Objekte sei bestens gesorgt.


Innere Ausstellung zu Nok, Owo, Benin-Nigerian Ancient Traditions (Foto: C. Lentz)

Denkmal von Queen Elizabeth aus Lagos (Foto: C. Lentz)


Anschließend soll der Betrachter einen Blick auf die Kolonialzeit werfen: Eine Installation zeigt das Denkmal von Queen Elizabeth, das der nigerianischer Künstler Ben Enwonwu kurz vor der Unabhängigkeit geschaffen hat, umgeben von Fotos von der Einweihung des Denkmals in Lagos durch den britischen Gouverneur. Danach, so Uwa Usen weiter, könne der Besucher dann in der großen Halle umherstreifen und ein großes Angebot von Kunsthandwerk aus allen Regionen Nigerias sowie Gemälde und Skulpturen zeitgenössischer nigerianischer Künstler entdecken. Dabei würden ganz von selbst Traditionslinien zu den vorkolonialen künstlerischen Produktionen sichtbar werden, aber auch Innovationen durch die Verwendung von neuen Materialien der Massenkonsum-Gesellschaft, wie etwa beim aus Getränkedosen gebauten Haus. Ganz bewusst habe er übrigens nicht einzelne Künstler aufgefordert, sich um Aufnahme in die Ausstellung zu bewerben, sondern Künstlergruppen und Kunsthandwerksvereinigungen, die selbst bestimmt hätten, was sie ausstellen wollten. Da solche Gruppen meist einen regionalen Fokus haben, entsteht dann, wie im Nationalmuseum, der Eindruck eines Kaleidoskops nigerianischer Regional-Kunststile, auch wenn die Bild- und Formensprache tatsächlich gar nicht regionalspezifisch sind.

Die Gegenwart - Kunsthandwerk aus allen Regionen (Foto: C. Lentz)  Goodluck Jonathans Porträt fehlt nirgends (Foto: C. Lentz)  Jerry Buhari - 'National Issues' (Foto: C. Lentz)
Bildhauerkunst - eher klassisch (Foto: C. Lentz)  Akan Audi Idongesit - 'Nationhood to Motherhood', 2010 (Foto: C. Lentz)  Ayo Adewumi - 'Work in Progress', 2009 (Foto: C. Lentz)  Kurator Uwa Usen neben Kunst seiner Gruppe Harmattan (Foto: C. Lentz)

Die 3. Ausstellung, die wir an diesem Tag besuchen, im Foyer des Nikon Luxury Hotels, ist nur eine Woche lang zu sehen: "Nigeria's 50th Independence Anniversary Photo Exhibition". Organisiert von der National Gallery of Art, mit Unterstützung durch das Ministerium für Tourismus, Kultur und nationale Orientierung, hat hier eine kleine Gruppe von engagierten Kuratoren in nur zwei Monaten Vorbereitungszeit historische Fotografien aus Archiven, alten Zeitungen und nicht zuletzt früheren Ausstellungen der National Gallery of Art zusammengetragen, mit erläuternden Texten zur politischen Geschichte Nigerias versehen und auf zahlreichen Stelltafeln in verschiedenen "Kapiteln" in chronologischer Reihenfolge montiert. Die eher mäßige Qualität der ausgestellten Foto-Reproduktion wird dabei mehr als wettgemacht durch den hervorragenden Katalog, der ein regelrechtes bebildertes Geschichtsbuch geworden ist. Interessanterweise kann man diesen anscheinend in nur sehr begrenzter Auflage produzierten Katalog aber nicht kaufen, sondern muss ihn als Geschenk ergattern. Wir hatten Glück, dass von der sehr gut besuchten Vernissage noch ein Exemplar übrig geblieben war, das wir mitnehmen durften.

Fotoausstellung 'Pre-colonial resistance' (Foto: C. Lentz) Fotoausstellung 'Nigerian nationalism' (Foto: C. Lentz)

Fotoausstellung 'Military rule' (Foto: C. Lentz)

 Fotoausstellung 'The human rights struggle' (Foto: C. Lentz)

Was hier in der Ausstellung und im Katalog besonders auffällt: Durch die chronologische Reihung und Personenbezogenheit aller Fotos wird die wechselvolle politische Geschichte des unabhängigen Nigeria beinahe eingeebnet; die Präsidenten von Zivil- und Militärregierungen, die sich möglicherweise erbittert bekämpft haben, hängen friedlich nebeneinander, wie in einer dynastischen Königsabfolge. Zur Homogenisierung der verschiedenen politischen Regime trägt auch noch das durchgängige Schwarz-Weiß auch der rezenten Politikerfotos bei, die dadurch eine historische Patina erhalten. Nur ein Geschichtskapitel bleibt merkwürdig unbebildert und fällt aus der chronologischen Reihe heraus: der Biafra-Krieg. Und bezeichnenderweise nur bei diesem Thema Bürgerkrieg, so erläutert uns Amarachi Okafor, eine der Kuratorinnen der Ausstellung, habe das Nigeria@50-Planungskomitee eingegriffen und eine Neufassung des ersten Entwurfs verlangt. Ansonsten aber hätten sie freie Hand gehabt bei der Gestaltung der Galerie der berühmten Männer (und einiger berühmter Frauen), die mit den Widerstandskämpfern gegen Kolonialismus beginnt, dann die frühen Nationalisten zeigt sowie eine Reihe nigerianischer "firsts" (der erste Rechtsanwalt, der erste Mathematikprofessor, der erste Parlamentspräsident usw.) und schließlich die politische Elite der 4 zivilen Republiken und der 3 Militärregierungen präsentiert. Der Titel der Ausstellung verdeutlicht die optimistische Grundhaltung, die die Fotoreihe signalisieren soll: "March of History: Evolution of the Nigerian Nation - Trials and Triumphs" ("Der historische Marsch - die Evolution der nigerianischen Nation, Herausforderungen und Triumphe"). Es ist sicher kein Zufall, dass auch in dieser Ausstellung, wie schon in den beiden anderen, die wir besucht haben, das Porträt des amtierenden Präsidenten Goodluck Jonathan einen besonderen Platz einnimmt. Alle Nigeria@50-Veranstaltungen, die wir bei unserem kurzen Besuch verfolgen konnten, sind offenbar immer auch Wahlkampf.

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 07.11.2010
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