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Nigeria@50 - Von Paraden und Autobomben: Reflexion eines Jubiläums

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Eintrag vom 6. Oktober 2010
Helen U. Okafor


Die Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitsjubiläum in Nigeria wurden mit einem traditionellen Staatsbankett eingeleitet. Am Vorabend des 50. Jahrestags der Unabhängigkeit versammelten sich in der Banquet Hall im State House in der Hauptstadt Abuja internationale und afrikanische Staatsoberhäupter und Regierungschefs. Bei dieser Gelegenheit verlieh Präsident Goodluck Jonathan auch den "Golden Jubilee Presidential Award" an 50 bedeutende Nigerianerinnen und Nigerianer. Die Preisträger wurden aufgrund ihrer einzigartigen Rolle ausgewählt, die sie auf dem Weg zur Unabhängigkeit der Nation, bei der Förderung der Demokratie und der Etablierung von Freiheit und Souveränität spielten. Nach der Veröffentlichung der Liste der 50 Persönlichkeiten kam es allerdings zu herber Kritik aus einigen Teilen des Landes. Vor allem in denjenigen Bundesstaaten, aus denen keine Kandidaten unter den Ausgezeichneten zu finden waren, fühlte man sich gekränkt. Auch die Tatsache, dass einige ehemalige Staatsoberhäupter nicht unter den Auserwählten waren, führte zu Unmut.

Interessanterweise fehlten auf der Liste der zu Ehrenden General Ibrahim Babangida und Muhammadu Buhari, Präsidentschaftskandidaten für die 2011 anstehenden Wahlen. Dies sorgte für Aufregung, auch wenn andere ehemalige Staatsoberhäupter aus dem Norden (wie etwa Sani Abacha) oder aus dem Süden (wie Ernest Shonekan) ebenfalls nicht ausgezeichnet wurden. Präsident Jonathan überraschte das Publikum später dann auch damit, dass er genau diese Diskussion über die Kandidaten, die im Vorfeld entstanden war, in seiner Ansprache aufgriff. Er betonte, dass es einen Grund dafür gebe, dass nur drei ehemalige Militäroberhäupter - General Abdusalam Abubakar, Olusegung Obasanjo und Yakubu Gowon - ausgezeichnet wurden. Die Auswahl der Persönlichkeiten sei kein "Werbegeschenk" ("freebie"), sondern solle den einzigartigen Beitrag dieser Persönlichkeiten zur Entstehung Nigerias und der Entwicklung zu einer modernen Nation würdigen.

Am Morgen des 1. Oktober 2010 kamen schon seit kurz nach 6 Uhr Schulbusse am Eagle Square an, und die Schulkinder strömen zu ihren Plätzen auf den Tribünen. Der Eingang zum Hauptschauplatz wurde bewacht, und vor Eintritt wurde mir mitgeteilt, dass dieses Event "strictly by invitation", also nur mit Einladung zu besuchen sei. Erst später wurden auch einige Zuschauer ohne Einladung zugelassen, freilich nur in begrenzter Zahl. Vor Betreten des Eagle Square wurde dann auch noch meine Tasche gescannt und ich musste eine Sicherheitsschranke passieren.

Foto: Helen U. OkaforAuf dem Platz selbst herrschte bereits reger Betrieb. Die einzelnen Ränge wurden zugewiesen, die letzten Schleifen der Dekoration geknüpft, die Platzanweiserinnen positionierten sich, Namensschilder und Programmhefte wurden auf die Sitze verteilt. Da ich früh genüg angekommen war, konnte ich einen Platz auf der Tribüne nahe des VIP-Bereichs ergattern. Am hinteren Rand des Platzes wurden drei riesige Heißluftballons in Fahrt gebracht und stiegen in die Luft. Auch am Eingang waren Heißluftballons im Kleinformat zu bewundern. Bis die geladenen Gäste und der Präsident auf dem Eagle Square erschienen, stand alles und jeder auf seinem Platz.

Bezeichnenderweise erschien Ibrahim Babangida, Präsident von 1985-1993, nicht auf dem Eagle Square. Dagegen waren alle anderen ehemaligen nigerianischen Staatsoberhäupter anwesend: Alhaji Shehu Shagari, Chief Olusegun Obasanjo, Chief Ernest Shonekan, General Yakubu Gowon, Muhammadu Buhari und Abdusallam Abubakar sowie zahlreiche nigerianische Parlamentsmitglieder, afrikanische Staatsoberhäupter und Vertreter ausländischer Regierungen. Das Programm verlief zunächst ganz nach Plan.

Foto: Helen U. Okafor

Präsident Jonathan, der in einem regionaltypischen traditionellen "South/South"-Gewand - einem schwarzen Kaftan mit passendem Hut - erschien, eröffnete nach dem Abspielen der Nationalhymne die Jubiläumsparade. Nach der "Ceremonial Parade/Colour Patrol" suchte der Präsident auf der VIP-Tribüne seinen durch kugelsicheres Glas geschützten Platz auf. Es folgten ein muslimisches und ein christliches Gebet, woran sich der Marsch der paramilitärischen Einheiten, der Schulkinder, die Calisthenics-Aufführung, der Combat March und eine Präsentation von Militärgerät inklusive Flugschau anschlossen.

Foto: Helen U. OkaforDas Programm beinhaltete neben Zeremonien, die jedes Jahr stattfinden, auch einige neue Elemente, die speziell für den 50. Jahrestag der Unabhängigkeit hinzugefügt wurden. So ging dem traditionellen March-Past der Ceremonial Parade in diesem Jahr ein neuer March-Past, also ein Aufmarsch, voraus, der eigens für den Anlass choreographiert wurde. Außerdem waren zum ersten Mal "Calisthenics", rhythmisch ausgeführte tänzerische und sportlerische Übungen, Teil des Programms auf dem Eagle Square. Die Calisthenics-Aufführung war nicht nur wegen der zahlreichen farbenfrohen Schulkinder ein Vergnügen. Sie diente auch dazu, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen des Landes zu repräsentieren, in dem verschiedene Tanzstile aus dem Norden, Osten, Westen und Süden Nigerias dargeboten wurden.

Für die Nationalhymne erschien der Präsident erneut auf dem Podest am Rande des Platzes. Standesgemäß und militärischer Tradition entsprechend wurden 21 Salutschüsse abgefeuert. Der Präsident trug sich in das Anniversary Register ein und zeichnete wichtige Militäroffiziere mit der "Golden Jubilee Medal" aus. Zum Abschluss der Zeremonie wurden weiße Tauben frei gelassen.

Foto: Helen U. OkaforNachdem allerdings die Nachricht über den während der Parade nur knapp einen Kilometer vom Eagle Square entfernt verübten Bombenanschlag publik wurde, machten sich Schock und Fassungslosigkeit breit. Dass der Anschlag von MEND (Movement for the Emancipation of the Niger-Delta), einer radikalen Befreiungsbewegung aus dem Niger-Delta im Süden des Landes, durchgeführt wurde, bezweifeln viele, obwohl diese Organisation kurz nach dem Anschlag die Verantwortung übernahm. Einige vermuteten hinter dieser Schreckenstat auch einen Warnschuss aus dem Norden an Präsident Jonathans Adresse, dessen Entscheidung, als Präsidentschaftskandidat der PDP anzutreten, für Unmut gesorgt hat. Denn dem "Zoning-Agreement" zufolge, das eine regionale Rotation der Präsidentschaftskandidaten vorsieht, jedoch keine Rechtsgrundlage besitzt, wäre als nächstes ein Kandidat aus dem Norden an der Reihe. Auch Tage nach der Detonation der zwei Autobomben stehen die Autowracks noch immer am Straßenrand.

In seiner Ansprache im Gottesdienst zum Goldenen Jubiläum im National Christian Centre in Abuja am Morgen des 2. Oktober 2010 sprach Präsident Jonathan den Angehörigen der Anschlagsopfer sein Beileid aus und verurteilte den Anschlag aufs Schärfste:

"This is a period of change, particularly now that Nigeria is marking a new era in its history. Nigeria must change for the better. It is also a period that enemies of progress would work hard to undermine our efforts like they did on October 1 at the Eagle Square when we were celebrating our Independence. Lives were lost and property destroyed, but they would not stop us. […] Government will leave no stone unturned to unearth the remote and immediate causes of the bombing. All those who are directly or indirectly linked with the bombing will be brought to book and God will help security agencies to apprehend those behind it so that we all will know the demons in our midst."
(Goodluck Jonathan zit. n. Vanguard, 4.10.2010)

Diese sinnlose Bluttat am 50. Jahrestag der Unabhängigkeit wird derzeit von einigen der Präsidentschaftskandidaten instrumentalisiert. Sobald die Drahtzieher des Anschlags dingfest gemacht worden sind, wird dies wahrscheinlich zu einer weiteren Verschärfung der regionalen Machtkämpfe führen.

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 07.11.2010
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